Die Schule der Nacht
Zeitzeuge.«
»Weihwasser?«
»Fehlanzeige«, antwortete Gabriel. »Wir können uns gefahrlos in Kirchen aufhalten.«
»Sonnenlicht?«
»Jein. Wir können uns zwar der Sonne aussetzen, fühlen uns im Sonnenschein aber nicht besonders wohl. Die Sonne reizt unsere Haut und tut uns in den Augen weh. Aus diesem Grund lieben Vampire auch das Nachtleben und hassen den frühen Morgen. Im Gegensatz zu den Blutgebern – sorry, Menschen – ziehen wir die Nacht dem Tag und den Winter dem Sommer vor.«
April runzelte die Stirn und hob die Hand, um eine Zwischenfrage zu stellen. »Moment mal… Ihr nennt uns ›Blutgeber‹?«, fragte sie ungläubig. Sie fand es beunruhigend, aber auch fast schon beleidigend, dass Vampire über Menschen sprachen, als wären sie nichts weiter als Nutztiere.
»Na ja… das ist so ein Begriff, der…«, stammelte Gabriel betreten.
»Schon gut«, unterbrach April ihn. »Was ist mit dem Kreuzzeichen?«
»Völliger Unsinn, genau wie der Mythos, dass wir in Spiegeln nicht zu sehen seien. Wenn das wahr wäre, könnten wir uns in keiner Innenstadt mehr frei bewegen, weil wir ständig Angst haben müssten, jemand könnte bemerken, dass wir uns in einer Schaufensterscheibe nicht spiegeln.«
»Und warum glauben dann alle an diesen Quatsch?«
»Weil wir wollen, dass ihr daran glaubt. All diese Mythen wurden von Vampiren bewusst in die Welt gesetzt.«
»Aber wieso?«
»Ganz einfach. Wann immer einer von uns verdächtigt wurde, ein Vampir zu sein, musste er nichts weiter tun, als sich irgendwo am helllichten Tag blicken zu lassen, in eine Kirche zu gehen oder Knoblauch zu essen. Es ist bloß eine weitere Maßnahme, um unentdeckt zu bleiben.«
April nagte nachdenklich an ihrer Unterlippe, während sie versuchte, das Gehörte zu verarbeiten. »Aber wenn es euch so gut gelingt, eure wahre Identität zu verbergen, wie könnt ihr andere Vampire dann überhaupt erkennen?«
Ein unruhiger Ausdruck huschte über Gabriels Gesicht. »Kommt drauf an. Gewandelte Vampire, also diejenigen, die wie ich durch einen Biss zum Vampir gemacht wurden, verraten sich durch ihre Makellosigkeit. Sie sind einfach zu perfekt. Einen echten Vampir zu erkennen ist dagegen sehr viel schwieriger.«
»Was ist ein echter Vampir?«
»Der leibliche Nachkomme von zwei Vampiren. Sie sind ungleich mächtiger, weil sie bereits als Vampir geboren wurden. Die Gabe, andere zu manipulieren, und die Rücksichtslosigkeit liegen ihnen sozusagen in den Genen – sie töten, ohne zu zögern. Ihre Körper regenerieren sich außerdem viel besser und schneller, sodass es fast unmöglich ist, sie zu vernichten.«
»Aber warum sind nur sie die ›echten‹ Vampire?«
Gabriel zog eine Grimasse. »Pure Arroganz. Als reinrassige Vampire fühlen sie sich sowohl Menschen als auch gewandelten Vampiren überlegen – sie betrachten sich als das ultimative Raubtier an der Spitze der Nahrungskette.«
April schauderte. »Und wie erkennst du dann einen echten Vampir?«
»Wir sind Jäger«, antwortete Gabriel. »Unser Sehvermögen, unser Gehör und unser Geruchssinn sind sehr viel ausgeprägter als bei Menschen. Das Problem ist nur leider, dass ein echter Vampir wie ein Blutgeber aussieht und riecht, im Gegensatz zu einem gewandelten Vampir, den ich am Geruch erkennen kann.«
»Aha, wonach riecht er denn?«
»Nach Tod.«
»Oh.«
April blickte auf ihre Hände hinunter und versuchte, ihre nächste Frage so beiläufig wie möglich klingen zu lassen, obwohl sich in ihrem Innersten ein nervöses Kribbeln breitmachte. »Und wie ist das mit der Nahrung? Könnt ihr auch normales Essen zu euch nehmen, oder ernährt ihr euch nur von Blut?« Bei der Vorstellung, wie Gabriel seinen Mund auf den hübschen Hals irgendeines anderen Mädchens presste, spürte sie, wie sie zwischen morbider Faszination und brennender Eifersucht hin- und hergerissen war.
»Das ist ein Aspekt, der dir definitiv nicht gefallen wird«, sagte Gabriel widerstrebend.
»Ich will es trotzdem wissen.«
»Wir können normale Nahrung zu uns nehmen – dank unseres ausgezeichneten Geruchs- und Geschmackssinns gehört gutes Essen sogar zu unseren größten Vergnügen. Aber wir brauchen Blut, um zu überleben, und können uns ausschließlich von menschlichem Blut ernähren, das wir mindestens einmal pro Woche trinken müssen, weil wir sonst krank werden.«
Gabriel hatte recht gehabt – dieser Aspekt gefiel ihr ganz und gar nicht. Als sie an Ling dachte, wie sie auf der Toilette geweint und sich
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