Die Schule der Nacht
ihr blutendes Handgelenk gehalten hatte, spürte sie erneut Wut in sich aufsteigen.
»Und von wem ernährst du dich?«, fragte sie, unfähig, ihren Abscheu zu verbergen.
»Von Spendern. Ich habe dir das Konzept neulich schon mal erklärt – Spender sind Leute, die uns erlauben, ein bisschen von ihrem Blut zu trinken. Wir brauchen nicht viel.«
Aprils Hand fuhr unwillkürlich an ihre Kehle. »Wage es bloß nicht, auch nur daran zu denken.«
»Niemals!«, sagte er mit einem kleinen Lächeln. »Aber um wieder zum eigentlichen Thema zurückzukehren. Der Bedarf an Spendern ist unter anderem ein Grund für die Rekrutierungen an der Ravenwood School – dadurch stehen genug Menschen zur Verfügung, von denen sie sich ernähren können. Und je mehr Blut ein Vampir bekommt, desto stärker wird er.«
April stieß einen tiefen Seufzer aus. Ihr wäre es lieber gewesen, sie hätte das alles gar nicht erfahren, andererseits wusste sie, dass es keinen Sinn hatte, sich darüber aufzuregen. Das war nun einmal seine Natur, Gabriel hatte gar keine andere Wahl, als sich von menschlichem Blut zu ernähren. Sie musste sich darauf konzentrieren, welche Schlüsse sie aus diesem Wissen ziehen konnte, um zu verhindern, dass noch mehr unschuldige Menschen den Vampiren zum Opfer fielen.
»Okay, und wie können wir sie aufhalten? Indem wir ihnen einen Pflock ins Herz rammen?«
»Funktionieren würde es. Das ist einer der wenigen Bereiche, in denen das, was in der Literatur und in Filmen behauptet wird, den Tatsachen entspricht. Genau genommen kann man einen Vampir auf so ziemlich jede Weise töten, man muss es nur gründlich erledigen, indem man sein Herz durchbohrt, ihn erstickt oder ertränkt, ihm den Kopf abschlägt oder ihn verbrennt. Die Verletzungen müssen in jedem Fall tödlich sein, andernfalls erholt er sich durch den schnellen Heilungsprozess, zu dem sein Körper in der Lage ist, wieder. Du hast es gestern Abend ja selbst gesehen.«
Gabriel zog sein Hemd hoch und zeigte ihr die Stichwunde, von der nichts als ein noch leicht geröteter Striemen übrig geblieben war. Als April ihm in die Augen sah, verstand sie plötzlich nicht mehr, wie sie so große Angst vor ihm gehabt haben konnte, dass sie ihm ein Messer in den Bauch gerammt hatte. Er war unglaublich schön, sensibel und warmherzig… Sie streckte die Hand aus und fuhr, so behutsam sie konnte, mit den Fingerspitzen über die gerötete Stelle.
»Bitte verzeih mir, Gabriel«, sagte sie sanft.
»April«, flüsterte er, legte seine Hand über ihre und näherte sich ihr langsam – bis April im letzten Moment plötzlich reflexartig vor ihm zurückwich.
»Ich… Ich sollte vielleicht lieber mal kurz nach meiner Mum sehen«, sagte sie rasch und floh aus der Küche.
Was tu ich denn da?, fragte sie sich verwirrt, während sie die Treppe hinauflief. Wann hat ein Junge – genauer, der süßeste Junge der Welt – mich jemals so angesehen? Und ich habe nichts Besseres zu tun, als einfach davonzurennen?
Sich im Stillen selbst verfluchend, streckte sie vorsichtig den Kopf in das Zimmer ihrer Mutter.
»Mmmmm, Schatz?«, murmelte Silvia und drehte sich schlaftrunken um. »Bist du das?«
»Hey, Mum.«
»Sei so lieb und reich mir meine Tabletten rüber, ja? Ich hab entsetzliche Kopfschmerzen.«
April seufzte leise, ging aber zur Kommode, wo die Tabletten standen, und gab sie ihr.
»Danke, Liebes.« Ihre Mutter zog sich wieder die Decke über den Kopf. »Ach, und könntest du den Fernseher leiser stellen. Ich höre die ganze Zeit irgendwelche Stimmen.«
»Natürlich, Mum. Mach ich.«
Sie schloss sachte die Tür und ging wieder nach unten, wo sie Gabriel im Wohnzimmer fand. Er saß auf dem Sofa und blätterte in einem Buch.
»Oh, hey. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.« Er hielt das Buch hoch, sodass sie das Cover sehen konnte, auf dem stand: Unter dunklen Wellen: Das Rätsel um das Ungeheuer von Loch Ness.
»Das ist eines der Bücher meines Vaters«, sagte April stolz.
»Scheint ziemlich gut zu sein.« Er nickte anerkennend. »Ich habe gerade gelesen, das der Loch Ness aufgrund seiner Tiefe mehr Wasser enthält als alle anderen schottischen Seen zusammen. Er ist siebenunddreißig Kilometer lang und eins Komma fünf Kilometer breit – ein verdammt gutes Versteck.«
»Nessie hat mein Dad zwar nicht gefunden…«, April setzte sich neben ihn und sah sich ein paar der Aufnahmen an, »…aber wir haben tolle Ferien dort oben verbracht. Vor unserem Cottage stand jeden Tag ein
Weitere Kostenlose Bücher