Die schwarze Schatulle
Schloss herum. Es dauerte eine Weile und Hirsch hätte sich auf ihn stürzen können, aber niemand stürzte sich auf niemanden, die Zeit reichte plötzlich nicht. Der Einbrecher richtete sich plötzlich auf, als habe er den Braten gerochen, und lauschte. Ich sah, dass er ziemlich groß und dünn war, aber sein Gesicht konnte ich nicht erkennen. Er hatte einen Strumpf drübergezogen. Auch ich lauschte. Im Kiosk nieste Uri so laut, dass man es in der ganzen Gegend hören konnte. Der junge Mann fing an zu rennen, mit langen Schritten, in Richtung Schule. Ich sah, dass Hirsch ihm nachrannte, obwohl er schon so alt war. Und ich fing auch an zu rennen, aber dann verlor ich zu viel Zeit am Zaun. Ich dachte, der Dieb hätte den Durchschlupf im Zaun gefunden, doch dann entdeckte ich, dass das Loch repariert worden war. Vielleicht wegen der Einbrüche.
Er war verschwunden. Er war nicht am Kiosk, nicht an der Schule, auch nicht in den Eingängen der umliegenden Häuser. Joli kam mit Hirsch zu mir, aber wir mussten mit leeren Händen zum Kiosk zurückgehen. Wir hatten ihn verloren.
10. Kapitel
Hirsch sagte: »Vor allem ihr müsst heimgehen und Eltern sagen, weil wir bleiben vielleicht sehr spät.«
Das wollte ich natürlich auf keinen Fall, aber Uri war einverstanden. Er wollte schnell heimgehen und dann wiederkommen. Hirsch fuhr ihn, er musste ihn förmlich zwingen, ins Auto zu steigen, denn Uri hörte gar nicht auf zu versichern, er wohne ganz in der Nähe. Wir fuhren alle mit, und als er ins Haus ging, um seiner Mutter Bescheid zu sagen und sich ein dunkles Sweatshirt zu holen, schaute Joli mich an, als erwarte sie eine Erklärung. »Ich hatte keine Wahl«, sagte ich. »Ich musste ihn beteiligen.« Ich hatte Angst, sie wäre wütend und Hirsch würde sich nur verstellen, aber Joli sagte nichts. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, weil sie geradeaus blickte. Vielleicht dachte sie an etwas ganz anderes.
Vom Rücksitz schaute ich in den Fahrerspiegel. Auch Hirsch schaute hinein und als ich seine Augen sah, war mir klar, dass er wusste, welche Schwierigkeiten ich hatte. Das hieß, dass einerseits alle auf eine Erklärung von mir warteten, ich andererseits aber keine Lust hatte, Erklärungen zu geben. Wie ist es überhaupt möglich, jemandem etwas zu erklären? Trotzdem erschrak ich, als er plötzlich sagte: »Warum nicht?«
Hirsch lächelte in den Spiegel und sagte zwei schwere, lange Wörter auf Englisch. Da erst drehte sich Joli zu mir hin. »Er meint«, sagte sie, »dass es Leute gibt, die ›exclu-ders‹ sind, das heißt, dass sie nie jemanden an etwas beteiligen wollen, und andere, die ›includers‹, die das gern tun.«
Joli wartete einen Moment, ob ich etwas sagte, aber ich schwieg. »Mein Großvater«, sagte sie, »gehört zu den ›in-cluders‹, er mag es, etwas mit andern zusammen zu machen. Deshalb hat er sich gefreut, dass noch ein Junge gekommen ist, vor allem einer, auf den du dich verlässt.«
»Und du, hast du dich nicht gefreut?«, fragte ich.
»Warum sollte es mich stören«, sagte Joli.
Das Sweatshirt, das Uri brachte, war nicht wirklich dunkel, aber vielleicht würden wir ja ohnehin in den Sonnenaufgang kommen, sagte er, als er ins Auto stieg. Seine Augen funkelten wie immer, wenn er ein Abenteuer roch.
Wir fuhren zum Haus von Jolis Großvater. Hirsch holte aus dem Kühlschrank zwei Frikadellen und roch an ihnen, bevor er sie auf den Tisch stellte. Aus seiner rechten Manteltasche holte er eine kleine, ovale Dose. Er öffnete sie vorsichtig, nahm ein paar kleine, durchsichtige Kügelchen heraus und prüfte sie vorsichtig. Zwei der Kügelchen legte er auf den Teller, neben die Frikadellen, und sagte: »Wenn du eine brauchst, nimm immer zwei. To be on the safe side.«
»Zur Sicherheit«, übersetzte Joli. Ihr war anzusehen, dass sie diesen Spruch schon öfter gehört hatte. Uri starrte Hirsch wie hypnotisiert an. Die rötlichen Flecken in seinen Augen leuchteten.
Hirsch bohrte mit dem kleinen Finger ein Loch in jede Frikadelle, und in jedes Loch schob er eines der gelblichen Kügelchen. Die Löcher verstopfte er dann mit einem Stück Wurst, die er ebenfalls aus dem Kühlschrank holte. Er wickelte die Frikadellen in Alufolie und steckte sie in eine Rucksacktasche. Doch damit waren seine Vorbereitungen noch nicht zu Ende, er hatte noch andere Taschen zu füllen.
Es war nicht so, dass mich das nicht interessierte, im Gegenteil, alles, was er tat, interessierte mich brennend, aber ich konnte nicht
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