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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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aber genau in dem Augenblick kam Joli zurück, mit einer großen Schachtel, und Hirsch machte ihr ein Zeichen, sie solle sich ruhig hinsetzen. Eine ganze Weile saßen wir drei da, ohne zu sprechen, bis er ihr auf Englisch sagte, er müsse mich nach Hause bringen und mit meinen Eltern sprechen.
    Mittwoch ist der Tag, an dem meine Mutter bei den kleinen Töchtern meiner Schwester babysittet. Das fuhr mir durch den Kopf, als wir in den Käfer stiegen. Sie würde nicht zu Hause sein, vielleicht sogar bis morgen früh nicht, falls sie dort übernachtete. Auf der Fahrt wechselten wir kein Wort, außer »rechts« oder »links« oder »geradeaus«.
    Außer in jener Nacht, der Nacht vom Unfall, hatte ich mich noch nie so gefürchtet wie in diesen Minuten, als wir vor unserem Haus in dem schwarzen Käfer saßen und Hirsch geduldig darauf wartete, dass ich ausstieg.
    »Nicht am Telefon«, hatte er vorhin gesagt, als ich ihn gebeten hatte, mit meinem Vater telefonisch ein Treffen zu vereinbaren. »Es gibt Dinge nicht für Telefon. Nur direkt. Mensch gegenüber Mensch.« Das hatte mich zum Schweigen gebracht. Ich hatte Angst davor, dass Hirsch mit meinem Vater sprach, diesem Vater, mit dem außer der Sozialarbeiterin und dem Rechtsanwalt niemand sprach und den nichts auf der Welt interessierte. Ich hatte solche Angst, dass ich sogar nicht wusste, vor was ich mich mehr fürchtete davor, dass mein Vater weiter in seinem Sessel saß und mich ignorierte, wie er es in den Tagen nach dem Unfall getan hatte, bis ich überhaupt aufgehört hatte, mit ihm zu sprechen, oder davor, dass er plötzlich aus seinem Sessel aufstehen und mit Hirsch über mich sprechen würde. Oder dass er vielleicht platzen und ihn anschreien und hinauswerfen würde. Oder dass er nicht schreien würde, sondern nichts sagen. Ich wartete und wartete, ich wagte nicht, ins Haus zu gehen. Ich dachte, dass ich meinen Vater nicht mehr kannte, er war mir fremd geworden. Aber ich wusste, dass ich nicht zu Hirsch zurückkommen könnte, ohne es wenigstens versucht zu haben, auch wenn ich das Gefühl hatte, vor Angst zu ersticken.
    Mir war kalt und heiß zugleich. Kalt auf der Stirn und heiß an den Zähnen. Kalt an den Händen und heiß in den Beinen. Und am allerkältesten war es mir im Bauch. Meine Beine zitterten, waren aber zugleich ganz leicht, als würden meine Füße kaum den Boden berühren.
    Ich stand vor unserer Wohnungstür im ersten Stock, wie jemand, der vor einer fremden Tür steht. Mein Herz klopfte so heftig, dass ich kaum atmen konnte.
    Dann, ich weiß nicht mehr, wie, stand ich plötzlich im Zimmer. Der Fernseher lief ohne Ton. Meine Großmutter schlief schon, mein Vater saß in seinem Sessel. Ich weiß nicht, wie, aber ich ging zu ihm und sagte ihm, draußen wäre jemand, der Großvater von jemand, der Großvater von Joli aus meiner Klasse, und er würde auf ihn warten, weil er mit ihm sprechen wolle. Ich fragte, ob er einverstanden wär, dass dieser Jemand in die Wohnung käme.
    Ich dachte, er hätte gar nicht verstanden, was ich gesagt hatte, denn es dauerte lange, bis er antwortete. Doch schließlich tat er es und seine Stimme war auf einmal ganz anders, nicht wie die, mit der er mit dem Angestellten der Rentenversicherung sprach oder mit Rechtsanwalt Friedberg. Plötzlich war seine Stimme ruhig und nicht mehr weinerlich. Er fragte nicht, warum und was, er sagte nur: »Er soll reinkommen.«
    Ich schaute zum Fernseher.
    »Wir werden in der Küche sitzen, er soll reinkommen.«
    Ich ging hinaus, um Hirsch zu rufen.
    Er kam herein, ging zu meinem Vater und streckte ihm die Hand hin. Mein Vater schaute ihn einen Moment an, dann stand er auf und drückte seine Hand. Ich verstand nicht, wie es passierte, aber ich bin sicher, dass mein Vater lächelte, er lächelte, als er Hirsch anschaute. Es war kein breites Lächeln, das nicht, aber trotzdem eine Art Lächeln. Und Hirsch, wie ein Zauberer, schaffte es, dass mein Vater mit ihm in die Küche ging. Hirsch machte die Tür zu und ich hörte nichts mehr.
    Sie saßen vielleicht eine Stunde in der Küche, ich weiß wirklich nicht, wie lange. Die Tür war verschlossen. Und so, wie ich war, mit Kleidern und Turnschuhen, legte ich mich ins Bett und zog mir die Decke über den Kopf. Ich wusste, dass dort, in unserer Küche, gerade jetzt etwas passierte, was alles ändern könnte, aber ich wollte sie nicht belauschen. Plötzlich verstand ich, wie schlimm es war, Detektiv im eigenen Haus zu spielen.

12. Kapitel

    So kam

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