Die schwarzen Raender der Glut
herausgesucht hat. Die Schuhmacherwerkstatt liegt in der Nähe des St.-Josefs-Krankenhauses, nur wenige Minuten Fußweg entfernt, aber schon nach wenigen Schritten breiten sich in seinem Hemd große nasse Schweißflecken aus.
Er überquert die Kreuzung an der Kurfürstenanlage und kann dann wenigstens im Schatten gehen. Doch die Hitze brütet überall zwischen den Häusermauern. Auf einem Innenhof spielen Kinder Seilhüpfen. Der Mann bleibt stehen und wischt sich den Schweiß von seiner Stirnglatze. Die Kinder sind Mädchen, acht oder neun Jahre alt, zwei lassen das Seil kreisen, das dritte hüpft lässig und in aufrechter Haltung darüber hinweg, es trägt einen blonden Pferdeschwanz und einen Rock, der beim Hüpfen hochfliegt und ein weißes Höschen zeigt.
Der Mann spürt, dass ihn jemand beobachtet. Es ist eine Frau mit Brille und scharfen Gesichtszügen. Er nickt ihr zu und geht weiter, ehe sie zu zetern beginnt.
Der Laden des Schuhmachers liegt in einer Seitenstraße. Er mag den Geruch der Werkstatt. Der Schuhmacher bringt die Schuhe, sie sehen nicht aus wie neu, sondern so, wie getragene und frisch besohlte Lederschuhe aussehen sollen. Der Mann bezahlt und verlässt den Laden, die Plastiktasche mit dem Werkzeug in der einen, die Jacke und eine Papiertüte mit den Schuhen in der anderen Hand.
Er geht zurück, in Richtung des Busbahnhofs, und kommt dabei an einem kleinen Platz mit Recycling-Containern vorbei. Einer der Behälter ist von einem Hilfswerk aufgestellt, das gebrauchte Schuhe sammelt. Der Mann bleibt stehen, dann holt er die beiden Lederschuhe aus der Tüte und bindet sie mit den Schnürsenkeln zusammen und steckt sie in den Container. Wenig später erreicht er den Bahnhof, ein Bus der Linie 41 wartet schon, er steigt ein und stellt sich in den tiefer gelegten Mittelraum, denn die Sitzplätze sind schon belegt von jungen Leuten mit Badezeug, die zu einem der Baggerseen wollen, und von Frauen, die vom Einkaufen kommen oder vom Arzt. Kurz darauf startet der Busfahrer und der Mann überlässt sich seinen Gedanken.
Birgit irrt durch die langen Flure, links und rechts gleiten die Verschläge mit den halbhohen Glasfenstern an ihr vorbei, die Glasscheiben sind blind von Staub, warum findet sie das Feuilleton nicht? Sie hat die Maupassant-Novelle übersetzt, die Blätter liegen glatt und sauber getippt in ihrer Hand, die Novelle soll in der Juni-Beilage erscheinen, und die wird doch vor der Abendmesse gedruckt, die Flure werden immer dunkler, plötzlich ist sie in der Bierschwemme in Q 11, das kann aber nicht sein, sie arbeitet doch in Heidelberg im Droste, irgendjemand hämmert auf dem verstimmten Klavier, vor dem Tresen sitzt das Mädchen aus der Lokalredaktion und trinkt Bier aus der Flasche, ich hab die Übersetzung, will Birgit sagen, aber dann sieht sie, dass das Mädchen sie schon hat, die Übersetzung ist aus Silber mit blassroten Granatsteinen.
Hat gerade mal vierfuffzich gekostet , sagt das Mädchen und
schüttelt ihre Staubfängerlocken, und Birgit wacht auf, den Mund klebrig vom Schlaf.
Unten in seinem Musikstudio klimpert Hubert auf seinem Flügel, irgendwie klingt es aber nicht nach Chopin. Birgit schließt die Augen, das Geklimper hört nicht auf, plötzlich fällt ihr der Titel ein, es ist Non, je ne regrette rien , also arrangiert er wieder an seinem Potpourri herum. Was das nur werden mag, manchmal gibt es schon etwas zu bedauern, zum Beispiel, einen Pianisten zum Mann zu haben und keinen, der einem einen Kaffee kocht.
In einem der ersten Dörfer außerhalb Heidelbergs steigt der Mann aus, geht an einer kleinen Kirche aus schmutzig gelbem Sandstein vorbei und eine Straße hinab, die an kümmerlichen Häusern mit Eternit-verkleideten Fassaden vorbeiführt. Er nickt zwei Männern zu, die ihm entgegenkommen und die er vom Sehen kennt, und sieht lieber weg, als er der alten Vettel begegnet, die einen Stützwagen vor sich her schiebt. Nun hängst du mal nicht am Fenster, das trifft sich aber gut. Vor einem Wohnblock mit verblasstem rotem Anstrich bleibt er stehen und schließt auf und wirft einen Blick auf seinen Briefkasten. Er ist leer. An Kinderwagen und Fahrrädern vorbei geht er zur Treppe. Langsam und bedächtig, sodass er nicht außer Atem kommt, steigt er bis zum dritten Stock hoch.
In seiner Wohnung geht er in die Küche, legt die Plastiktüte mit dem Schlagbohrer auf den Tisch und holt aus dem Kühlschrank eine angebrochene Flasche Mineralwasser. Er nimmt einen
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