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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Er wendet sich nach rechts, in Richtung zum Schafsbuck. Ein wenig Abwechslung ist nicht zu viel verlangt. Den ganzen Tag über hat er sich durch den Staub und Moder von Bücherkisten wühlen müssen, die Zundt von einem seiner Gönner hinterlassen worden waren. Nachtwache auf dem Toten Mann, Sturm um die Höhe 304, Wetterleuchten auf dem Linge heißen die Titel, die er erfassen und verzetteln muss. Manche der alten Scharteken sind in Leder gebunden, andere broschiert und zum Teil noch nicht einmal aufgeschnitten.
     
    »Kostbarkeiten der Zeitgeschichte«, hatte Gerolf Zundt geraunt, das Runzelgesicht verschwörerisch zusammengefaltet, als er am Nachmittag kurz in der Bibliothek vorbeischaute und von Grassls Arbeitstisch einen der broschierten Bände aufnahm.
    Grassl lächelt fein. Er muss daran denken, wie sich Zundts Gesicht unversehens ins Kummervolle umgefaltet hatte. »Wie dürfen wir denn das verstehen?« Der broschierte Band ist Oskar Wöhrles »Bumserbuch«, 1925 in Konstanz erschienen.
    »Es ist ein Kriegsbuch«, hatte Grassl geantwortet. »Der Autor war Kanonier. Ein Bumser also. Lustig gemeint hat er den Titel aber nicht. Wöhrle war damals Pazifist und linker Sozialist. Später allerdings hat er sich den Nationalsozialisten angeschlossen. Oder besser: sich ihnen angedient.«
    »Ein Märzgefallener also?«, hatte Zundt gefragt.
    »Nein, erst später. Es war sozusagen eine Überlebensfrage.«
    »Stellen Sie es in den Giftschrank«, hatte Zundt angeordnet. »Ich möchte nicht, dass meine Gattin das sieht. Morgen kommt übrigens ein Besucher, Professor Schatte aus Freiburg, dem können Sie es natürlich zeigen.«
    Auch beim Abendessen – Kräuterquark und Apfelschalentee  – war der morgige Besucher Thema gewesen. Margarethe Zundt, die Hohe Frawe, wie Grassl sie insgeheim nannte, hatte wissen wollen, ob der Gast über Nacht bleiben werde.

    »Nein«, hatte Zundt geantwortet, »wir wollen uns nur unterhalten, Faden schlagen . . . Vielleicht kann ich ihn für unser nächstes Frühjahrsseminar gewinnen.«
    »Ein Weisheitslehrer?«, hatte die Hohe Frawe wissen wollen. »Nein«, antwortete Zundt, »kein Philosoph. Ernst Moritz Schatte hat einen Lehrstuhl für Kommunikationstheorie und Internationale Politik, hochinteressanter Mann, die Medien reißen sich um ihn . . .«
    Die Hohe Frawe war nicht angetan. »Ich wünschte, es gäbe noch Wissende«, bemerkte sie strafend. »Nicht nur solche, die sich ins Fernsehen drängen und die Hände in den Hosentaschen haben.«
    Zundt hatte etwas davon gemurmelt, dass die Akademie doch auch mit der Zeit gehen müsse, und sich seinem Knäckebrot mit Kräuterquark zugewandt. Nach einer Weile, noch kauend, war er wieder auf das Frühjahrsseminar zu sprechen gekommen. »Es soll sich diesmal mit der globalen Herausforderung für das Europa der Nationen beschäftigen, ein eminent wichtiges Thema . . . der Erhalt unserer gesamten abendländischen Kultur hängt davon ab. Wenn ich nur daran denke, welchen Schund und Schmutz ich dieser Tage in der Kreisbücherei habe entdecken müssen, Romane von diesem Grass, Asterix-Hefte, alles mit Steuergeldern angeschafft, kein Wunder, dass die jungen Leute keine Werte mehr kennen . . .«
    »Und dieser Gelehrte – der wird darüber sprechen?«, hatte die Hohe Frawe wissen wollen.
    »Ich denke, er wird tiefer graben . . . Im Grunde geht es um nichts weniger als den Begriff des Gesellschaftlichen im 21. Jahrhundert. Wir wollen da eine umfassende Ausarbeitung vorlegen, vielleicht wird daraus auch eine —«, er hatte gezögert und mit einem Anflug von plötzlichem Zweifel das angebissene Knäckebrot betrachtet, »wie soll ich sagen – eine institutionelle Mitarbeit.«
    Jetzt, im Wald, überlegt Grassl, wie er das im Sinn der Hohen Frawe am besten ausdrücken würde. Anstaltshafte Mitarbeit? Oder gar eine leitungsweise ? Auch für ihn kein so besonders
schöner Gedanke. Der Herr Professor aus Freiburg könnte sonst wo Leute kennen . . . Vergiss es. Ewig ist nirgends. Er verlässt den Wanderweg und folgt behutsam einem Pfad entlang einer Fichtenschonung. Rechts neben ihm liegt ein Buchenwald, dessen glatte helle Stämme er mehr ahnen als sehen kann. Weiter vorne ist ein Wanderparkplatz. Vorsichtig sucht er sich seinen Weg, schließlich bleibt er stehen und horcht.
    Der Wald schweigt. Grassl geduldet sich. Zeit muss man haben, sonst hat es keinen Sinn. Das Ohr muss sich auf die Geräusche des Waldes einstellen, auf das Rascheln der Tiere und auf

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