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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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das, was sonst noch zu hören ist. Man muss ein Teil des Waldes werden, Teil der Dunkelheit, unsichtbar und unhörbar.
    Hoch und klagend schreit ein Vogel. Ein Käuzchen? Grassl überlegt, ob er sich vorsichtig durch die Schonung hindurch auf den Parkplatz zubewegen soll. Er würde sogar sehr vorsichtig sein müssen. Irgendetwas liegt in der Luft. Manchmal fahren sie mit ihren Autos bis unter die Bäume.
    Er schiebt sich an einer Jungfichte vorbei.
    Das matt glänzende schwarze Auto steht so unmittelbar vor ihm, dass er beinahe gegen die Fahrertür gelaufen wäre. Grassl spürt, wie sein Herz bis zum Hals schlägt. Für einen Augenblick überkommt ihn das dringende Verlangen, sich umzudrehen und durch die Schonung zu brechen und davonzurennen, so schnell ihn die Füße tragen.
    Doch in dem Wagen rührt sich nichts. Niemand ist darin. Es ist ein schwarzer BMW mit einem Rennlenker und gelben oder jedenfalls hellen Lederpolstern. Grassl legt die Hand auf die Motorhaube. Sie ist noch warm.
    Er überlegt. Wenn sie ausgestiegen waren und hier irgendwo zwischen den Fichten liegen, hätte er sie längst hören müssen. Aber er hatte nichts gehört.
    Also ist es etwas anderes. Ein einzelner Mann? Jedenfalls keiner aus dem Dorf. Keiner der jungen Leute von dort hat ein solches Auto. Aus seiner Hosentasche holt er den Schlüsselbund
mit der Minilampe, bückt sich und sieht sich das Kennzeichen an, wobei er den Lichtschein mit der Hand abschirmt. Der BMW ist in Stuttgart zugelassen.
    Womöglich jemand wie ...? Grassl verzieht das Gesicht. Der Wagen ist nicht klug geparkt. Überhaupt nicht klug. Falls es kritisch wird, muss der Fahrer mit dem BMW ja auf den Wanderparkplatz zurückstoßen.
    Na ja, du wirst schon sehen, wie dir das bekommt.
    Behutsam schiebt er sich an den Jungfichten vorbei und gelangt in ein Waldstück mit älteren Bäumen. Er umgeht den Wanderparkplatz, bis er zu einem Holzstoß am Waldrand kommt, von dem aus er sowohl den Parkplatz als auch die Zufahrt zu ihm einsehen kann. Es ist ein günstiger Standort, denn wenn er sich umdreht, überblickt er den Waldrand links davon und die Hochfläche mit den Wacholderweiden bis hin zum Gelände der Johannes-Grünheim-Akademie.
    Er holt sein Fernglas hervor und stellt es ein. Es ist ein Nachtsichtgerät, wie es eine Blondine in einem Outdoor-Katalog um den Hals hängen hatte. Die Blondine steckte in Springerstiefeln und einem fleckfarbenen Bustier.
    Der Parkplatz ist leer. Er zuckt mit den Achseln und beginnt, mit dem Glas den Waldrand abzusuchen.
    Auch da ist niemand. Vielleicht ist es noch zu früh am Abend. Er wendet sich nach rechts, zur Akademie, und bekommt zunächst nur das dunkle Dach des Gästehauses ins Blickfeld. Dann plustern sich die Kronen der Kastanien, satt und dunkelgrün, vor dem Nachthimmel auf und schimmern im Widerschein des Lichtes, das aus dem Akademiegebäude fällt. Licht brennt nicht nur in Zundts Arbeitszimmer, sondern auch in den Bibliotheksräumen im ausgebauten Walmdach und unten im Erdgeschoss. Grassl kann einen Schatten sehen, der sich im Arbeitszimmer hin und her bewegt.
    Was treibt Zundt da? Um diese Zeit hockt er sonst vor dem Fernseher, trinkt Portwein und schlummert sanft in die Schlafenszeit hinüber, während die Hohe Frawe ihre Tarotkarten legt. Vermutlich tut sie das auch jetzt, denn im Brentano-Salon
brennt Licht. Die Hausmeisterwohnung hingegen ist dunkel.
    Freißle sitzt also schon im »Waldhorn«. Grassl geht mit dem Fernglas noch einmal den Waldrand ab. Nichts. Vielleicht liegt es daran, dass er gewohnt ist, auf andere Hinweise zu achten. Die Stelle, an der die Dunkelheit auf andere Weise dunkel ist als die Bäume darum herum, hätte er fast übersehen. Er ist mit dem Fernglas schon darüber hinweg, als er innehält und noch einmal den Waldrand davor absucht.
    Beim zweiten Hinsehen wundert er sich, dass es ihm nicht gleich aufgefallen war.
    Unter dem Schutz einer ausladenden Buche steht ein Mann, dunkel gekleidet und an den Stamm gelehnt. Angelehnt hat er sich, um sein Fernglas besser halten zu können.
    Der Kollege. Wenn man ihn so nennen kann. Aber wieso hat er es auf die Akademie abgesehen?

Donnerstag, 29. Juni
    In einem Büro des Neuen Baues, dem Sitz der Ulmer Polizeidirektion, ist die Kriminalkommissarin Tamar Wegenast – Dezernat I, Kapitalverbrechen – damit beschäftigt, Ablagekörbe aus Plastik mit Papierservietten auszulegen und Butterbrezeln darin zu arrangieren. Auf dem Tisch, auf den sie die Körbe stellt,

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