Die schwarzen Raender der Glut
vorsichtshalber
schon mal einen Nachruf auf dich schreiben. Was hast du da an den Wänden?«
»Aus dir spricht die typische Intoleranz der Konvertiten. Die Aquarelle sind zauberhaft, findest du nicht auch? Anrührend und tief.« Sie überlegt, ob sie einen hastigen Zug aus der Zigarette nehmen soll, und vergisst es wieder. »Ganz versteh ich es auch nicht. Aber das eben ist Kunst. Dass der Bruch bleibt, und der Schrei, und dass dir keiner einen Trost weiß.« Franziska nickt höflich. »Vielleicht nehm ich das.«
Ein Leuchten zieht über Isabellas Gesicht. »Eins von den Aquarellen, ja?«
»Nein, tut mir Leid. Kann ich meinem Bankkonto nicht zumuten. Diesen Satz da von dem Schrei wollte ich nehmen.«
Isabella sieht sie verständnisvoll an und inhaliert nun doch einen tiefen Zug.
»Für deinen Nachruf«, erklärt Franziska.
»Miststück«, antwortet Isabella und schnaubt zwei mächtige Rauchwolken durch die Nase. Die Türklingel schlägt an, und die Postbotin bringt einen Stapel Prospekte und Briefe, die nach Franziskas Erfahrung verdächtig nach Mahnungen aussehen. Taktvoll wendet sie sich ab und betrachtet den Silberschmuck in den Glasvitrinen, eine der ausgestellten Arbeiten ist ein Kette aus Silberfäden mit fein gearbeiteten Blättern, und die Kette hält einen kleinen blauroten Granat. Nicht schon wieder, denkt Franziska, wie lange ist das alles her? Sie blickt hoch, ein Strichmännchen irrt durch ein Gewirr aus labyrinthischen Linien, und in der linksgeneigten Tusche-Schrift steht darunter der Satz: Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume erschreckt mich .
Die Postbotin ist wieder gegangen, Isabella überfliegt einen der Briefe, für eine kurze Weile kehrt Stille ein.
»Hör dir das mal an«, sagt Isabella plötzlich. »Die wollen hier einen Fahrstuhl einbauen, das ist doch verrückt, die machen das ganze Treppenhaus kaputt, das darf doch niemand genehmigen! Und Thermopen-Fenster, oder wie dieser Scheiß heißt, von dem man Schimmel in die Wohnung kriegt . . .«
»Gib mal her.« Franziska nimmt den Brief und liest ihn sorgfältig durch. Der Absender ist eine Frankfurter Firma, eine Helios Heimstatt GmbH & Co. KG, die das Haus vor einigen Wochen einer Erbengemeinschaft abgekauft hat. Der Name sagt ihr nichts, aber die Sprache scheint ihr bekannt.
»Über den Schimmel brauchst du dich nicht aufzuregen«, sagt sie dann. »Wirklich nicht.«
Isabella sieht sie nur an, fragend und unsicher.
»Diese Leute haben eine Luxus-Sanierung vor«, fährt Franziska fort. »Entweder gehst du Pleite, während die noch das Haus zur Baustelle machen, oder danach. Weil du dann nämlich die Miete nicht mehr bezahlen kannst.«
Franziska tritt auf die Straße hinaus. Die Alleebäume geben Schatten, aber der frische Geruch des Sommermorgens ist verflogen. Schon jetzt ist zu spüren, wie sich die Hitze zwischen den Häusern staut. Ein Satz, der unter einem der Aquarelle in Isabellas Galerie steht, klingt nach.
Der Mensch ist nur ein Schilfrohr, das schwächste der Natur, aber er ist ein denkendes Schilfrohr.
Schwer genug fällt es einem ja, denkt Franziska, sich die Freundin als Schilfrohr vorzustellen. Sie sieht auf die Uhr. Es ist später, als sie gedacht hat.
An der Ecke stößt sie beinahe mit einem stirnglatzigen, stämmigen Mann zusammen, der die Jacke seines dunklen Anzugs über den Arm gehängt hat. Im letzten Augenblick stoppt der Mann ab und lässt sie vorbei.
Die Mieter sollten sich zusammentun und an die Öffentlichkeit gehen, hat sie Isabella geraten. Vielleicht haben die neuen Eigentümer noch andere Altbau-Häuser aufgekauft. Vielleicht weiß man in Frankfurt etwas über diese Kommanditgesellschaft; sie würde noch am Nachmittag, wenn sie wieder in Mannheim in ihrer Wohnung ist, eine Kollegin in der Rundschau anrufen.
Aber mach dir keine Illusionen. Geld lässt sich von nichts aufhalten und nirgendwo auf der Welt gibt es einen Naturschutzpark
für kettenrauchende chaotische Galeristinnen und krakelige Aquarelle.
Franziska erreicht die Haltestelle und bleibt auf dem Trottoir stehen, dort, wo noch Schatten ist. Die Straßenbahn zum Bismarckplatz muss gleich kommen.
Aber wehren muss man sich trotzdem.
Der Mann sieht Franziska unschlüssig nach. Dann geht er langsam bis zu einem Fußgängerüberweg weiter. Dort bleibt er stehen und wartet – obwohl keine Autos kommen –, bis die Ampel schließlich auf Grün schaltet.
Auf der anderen Straßenseite gelangt er zu einem spitzgiebligen
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