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Die sechste Kugel

Die sechste Kugel

Titel: Die sechste Kugel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Johannson
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mitten auf einer Insel direkt vor der brasilianischen Küste gelegen. Eine Brücke, die an die Golden Gate Bridge erinnert, führt hinüber zum Festland. Ich fuhr durch ruhige Vororte und Landschaftsschutzgebiete, bis ich im Zentrum ankam. Touristen und Einheimische flanierten durch die Straßen und über den Markt, saßen auf den Stufen zur Kathedrale und entspannten sich in den kleinen Parks. Es war heiß, aber trocken, so dass es etwas länger als fünf Minuten dauerte, bis mein Hemd durchgeschwitzt war. Aber mittlerweile hatte ich mich schon an brasilianische Temperaturen gewöhnt – in Rio war es normalerweise noch heißer.
    In einer ruhigen Nebenstraße hielt ich an. Das Kribbeln in mir nahm ungeahnte Ausmaße an, als ich den Zettel zur Hand nahm und die Adresse verglich. Avenida Luis Pereira 27. Hier musste sie wohnen.
    Das Haus war ein stattlicher Altbau in Hellblau, mehrere Mieter lebten darin. Ich sah auf die Klingel. Alles brasilianische Namen, die mir nichts sagten. Nur einer stach heraus: Kruger.
    Mein Herz klopfte. Ich klingelte.
    Niemand öffnete. Keiner kam ans Fenster.
    Ich klingelte erneut.
    Es blieb alles still.
    Ich sah auf die Uhr. Es war 16 Uhr. Sie arbeitete tagsüber in der Goetheschule, aber am frühen Nachmittag käme sie immer nach Hause, hatte mir der Nachbar berichtet.
    Ich betätigte die Türklinke. Sie gab nach.
    Ich stand in einem kühlen Hausflur und las die Namensschilder, während ich die Treppe hinauf nach oben schritt. Im dritten Stock fand ich die Wohnungstür von Frau Kruger. Ich ging darauf zu und wollte klopfen, als meine Hand unwillkürlich innehielt. Die Tür war nur angelehnt.
    Ich schob sie auf. »Hallo? Ist da jemand?«, rief ich hinein. »Clara? Bist du hier?«
    Es erfolgte keine Antwort. Dafür stockte mir der Atem, als ich die Wohnung betrat. Sie sah aus, als wäre ein Hurrikan hindurchgefegt. Geschirr lag auf dem Boden, ein Stuhl war umgefallen, Bücher aus dem Regal gerissen, das Sofa von einer dunklen Flüssigkeit durchtränkt. Auch im Schlafzimmer sah es fürchterlich aus. Von der Bewohnerin allerdings keine Spur.
    In meinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Sollte ich die Polizei rufen? Die würde vermutlich eine Menge unangenehmer Fragen stellen und vielleicht Nachforschungen anstreben, die sowohl mir als auch Clara mit unseren falschen Identitäten nicht bekommen würden. Doch hier war eindeutig etwas  passiert. Befand sich Clara in Gefahr? Wie konnte ich ihr helfen, obwohl ich rein gar nichts über ihr Leben hier wusste?!
    Ich verließ die Wohnung und ging ein Haus weiter, wo ich bei Leandro Rodriges klingelte. Ein Mann um die Sechzig öffnete. Er hatte langes, weißes Haar und einen Bart wie ein Musketier. Sein fescher Anblick oberhalb des Halses stand jedoch im krassen Gegensatz zu seinem Körper. Leandro brachte bestimmt zweinhundert Kilo auf die Waage.
    »Ich bin Peter Mustermann«, stellte ich mich auf Englisch vor.
    Er nickte. »Hi, Ich bin Leandro. Hast du deine Liebste gefunden?« Ich hatte ihm erzählt, dass ich eine verschollene Liebe suchte, die ich unrecht behandelt hatte und nun alles wiedergutmachen wollte. Außerdem sehnte sich unser angeblicher Sohn nach ihr. Die Brasilianer waren empfänglich für solche Geschichten.
    Ich deutete auf das Nachbarhaus und berichtete ihm, was ich vorgefunden hatte.
    Er runzelte die Stirn. » Ich hatte ihr gesagt, dass jemand sie überraschen will, und sie hat sich gefreut. Die Wohnung ist verwüstet? Das ist seltsam.«
    Ich fluchte innerlich. Eigentlich hatte ich ihn gebeten, Clara nicht zu sagen, dass ich sie suchte, um sie nicht zu verschrecken, falls sie mir lieber aus dem Wege gehen wollte. Aber offenbar war er zu temperamentvoll, um dichtzuhalten. Oder aber er wollte sie schützen, für den Fall, dass ich ein Ex war, der sie misshandelt hatte. Doch eben noch hatte er behauptet, sie hätte sich gefreut. Wenn sie wusste, dass ich kommen wollte, gab es nur zwei Möglichkeiten: Sie wollte mich sehen, um alles zu erklären. Dann wäre sie jetzt in ihrer Wohnung. Oder sie wollte unentdeckt bleiben. Dann wäre sie geflohen. Aber hätte sie dabei ihre Wohnung verwüstet? Wohl kaum. Aber dass ausgerechnet heute zufällig bei ihr eingebrochen wurde, hielt ich ebenfalls für unwahrscheinlich. Irgendetwas stank hier. Aber ganz gewaltig.
    Ich fragte Leandro noch, ob er irgendeine Ahnung hätte, dass sie in Schwierigkeiten steckte, doch er schüttelte den Kopf. Immerhin gab er mir noch die Adresse der Schule, in der sie

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