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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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Wodka trank, während er einen roten Saft schlabberte, der ihm über den Bart rann, stellte er mich seinen Freunden als »meine Freundin, die rumänische Schwimmmeisterin« vor, und ich lächelte krampfhaft, ich durfte ihm nicht widersprechen. Aber viel schlimmer war es, wenn er mich in seinem Büro mit Kaffee bewirteteund anschließend die Sekretärin anwies, niemanden vorzulassen, er sei beschäftigt. Dann packte er mich unter den Achseln und hob mich auf seinen Schreibtisch, ich weiß heute noch, wie sich die abweisende Kälte der Glasplatte unter meinen Schenkeln anfühlte. Alles ging sehr schnell, ein paar Stöße, wie bei den Hunden, während deren ich mir die Fingernägel in die Handfläche presste und meinen Blick in die Zimmerdecke schraubte. Eine Woche später erschien mein Artikel. Ich bemitleidete Terry aufrichtig, vor allem weil ich an mich und Nino dachte, an unsere Ausflüge in den Pustnicul-Wald, wo es keine Sekretäre gab und wir, die wir jung und arm waren, so unschuldig in der Unendlichkeit von Blättern und Gräsern schaukelten. Ich weiß nicht, woher gerade dieses Gefühl von Grün kommt, aus der Erinnerung an den Pustnicul-Wald oder von dem grünen Blick, der einem Scheinwerferkegel gleich durch mein Zimmer schweift. Ich verstehe nicht, was ihm eine derartige Geduld abnötigt, als hinge sein Leben von mir ab; ich weiß noch, wie Omama sich die Haaren raufte, als Vater starb, sie schrie draußen im Hof »mein täglich Brot«, »meine Gnade«; später erfuhr ich, sie war ja aus dem serbischen Ort Vârşeţ, dass das rumänische Wort für Gnade, »mila«, auf Serbisch Liebe bedeutet. Wie willkürlich verbinden sich die Motive. Welche Verquickung. Ich komme von meinen Dichterticks nicht los. Was bringt mich dazu, einem fünfundzwanzig Jahre jüngeren Mann all diese Obszönitäten aufzutischen? Was mich aber weit mehr beunruhigt, ist die Tatsache, dass ich keineswegs absichtlich nach diesen verfluchten Szenen suche, sondern mein Leben in zufällig ablaufenden Episoden erzähle, und ich stelle verblüfft fest, dass ich keine einzige Erinnerungohne sexuell motivierten Hintergrund besitze. Jetzt habe ich den Faden verloren. Der Mann ist so durchsichtig geworden wie eine Röntgenaufnahme; wenn ich seine Augen und seinen Mund nicht vor mir sehe, kann ich mich an nichts mehr erinnern. Sicher gibt es eine Verbindung zwischen der Erregung, die dieser grüne Blick in mir verursacht, und der fieberhaften Suche nach der, die ich einmal war, als ich ihn hätte verführen können. Ich stehe auf, gehe durch die Luft im Zimmer, als ginge ich durch ihn hindurch, so machte ich es als Kind, wenn der Teufel an meiner Bettkante erschien; um zum Lichtschalter zu kommen, durchschritt ich mein eigenes Wahnbild. Es war ein entsetzliches Gefühl, wirklich, ich brauchte Mut, um jene unstoffliche Materie zu durchdringen. Dann schaltete ich das Licht an, war unberührt, atmete.
    In der Küche der Ibric, als hätte ihn eine fremde Hand auf die Herdflamme gesetzt. Ich stelle mir vor, was er drüben tut, er zündet sich eine Zigarette an, bohrt sich in der Nase, durchforstet das Bücherregal. Ich fühle meine Machtlosigkeit. Terry will nicht zurückkommen, Anna auch nicht. Der Kaffee hat Schaum gebildet, kocht gleich über. Als ich den Kopf wende, ist der grüne Blick mir durch die Küchentür gefolgt. Sanft und gehorsam wie ein Hund. Nach dieser Unterbrechung weiß Anna nicht mehr, was sie sagen soll. Sie sucht nach etwas, woran sie sich festhalten kann, sucht mit der Unruhe dessen, der auf frischer Tat ertappt worden ist. Sie späht in der Leere ihres Gehirns nach einem Wort, einer schockierenden Begebenheit, einer schlauen Idee, mit der sie seine Aufmerksamkeit erregen und ihn dazu bringen kann, sich wieder auf das Stühlchen zu ihren Füßen zu setzenund ihr zuzuhören. Aber in ihrem Gehirn herrscht Ödnis, so weit das Auge reicht, kein Baum, keine Hütte, kein Schober, nur Kilometersteine, die sich dem Gedächtnis gleich wieder entziehen während dieser wilden Jagd, bei der sich die Gesichter am Fenster des Expresszugs unmöglich einprägen können. Ich werde dir erzählen, was ich vorgestern geträumt habe, gegen Morgen, bevor ich aus dem Schlaf hochschreckte; Omama sagte immer zu mir, was du von Samstag auf Sonntag träumst, geht in Erfüllung. Ich war also mit Nino in einer fremden Stadt, dass er tot ist, wusste ich im Traum nicht, und die Stadt in meinem Kopf war natürlich Wien. Wir gingen durch die schmalen

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