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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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langweilst. Anna war bei der dritten Kartoffel, als sie das Geräusch der Toilettenspülung hörte und danach den dünnen Strahl des Wasserhahns. Wenige Minuten später erschien er in der Küchentür, um ihr zu sagen, er sei kurz weg. Anna lächelte ihn verständnisvoll an und hörte die Tür ins Schloss fallen. Wie hart diese Kartoffeln sind, Mutter hat recht, das Gemüse ist dieses Jahr wirklich härter und hat weniger Geschmack. Er wird wohl Zigaretten holen. Früher brachten die Männer Blumensträuße oder Kuchen mit, Virgil kam immer mit einer Flasche Wodka, die er dann fast allein austrank; die Scherben der grünen Vase auf dem Teppich,die Katze mit geschnittener Pfote, und er heulend an Annas Schulter − der Zwerg hat das gemacht, der Zwerg ist schuld. Auch Virgil ist nicht mehr da, seine Augen hatten Dornen wie Rosenblätter, »wär’n wir Freunde nur ein einz’ges Mal, um uns sehnsuchtsvoll zu lieben«, eine solche Frivolität konnte Eminescu nicht besitzen, er war nicht der Mann, dessen Liebe schon nach einem einzigen Mal erlosch; nein, die Rede war von einmal, irgendwann, von einer einmaligen Liebe, nach der er hätte sterben wollen, und ich brachte Gegenargumente vor: »Nimm mir der Unsterblichkeit Nimbus und die Flamme aus meinem Blick, und schenke mir nur statt dessen ein einz’ges Liebesglück.« Anscheinend gab es bei Eminescu also doch diese Sache mit dem einen Mal, man bekommt die Schale so schwer ab, sie sind nicht mehr frisch, und meine Finger sind ganz fleckig, die von Herrn Bock waren auch so, der mit der Kürschnerwerkstatt in Sibiu, er wohnte in der Philosophenstraße, über die floss ein Rinnsal mit den Abfällen aus der Werkstatt, abends, bevor die Dämmerstunde anbrach, ging ich mir die Häuser und Winkel ansehen, Straßen mit poetischen Namen, ich las sie mit ironischem Blick, und sie klangen aufregend, die Windpromenade in Constanţa, sie führte zum alten Hafen, zu den Ruinen zweier Hotels – Grand Hotel und Majestic –, die wie zwei lächerliche, anachronistische Schiffswracks inmitten der Schilder »Proletarier aller Länder vereinigt euch« standen, jetzt, nach fünfzig Jahren, sind sie wieder aktuell, so erging es auch Bacovia, so war es mit Tonegaru, wird es Nino jemals so gehen, mit Marius passierte es nicht, auch nicht mit Daniel damals in 2. Mai, die Abende mit Virgil, mit Marius, mit Gabriela, mit Ada, mit Rodica. Wasfür Türken- und Apachentänze Nina und Virgil dort im Dobrogeanu aufs Parkett gelegt hatten, und im Hof hinten, bei Mondenschein, die gebratenen Gründlinge, Melonen und die aus dem Brunnen geholte Flaschen mit Murfatlar-Wein; im vorderen Hof hatten wir Poker gespielt, Virgils Betrügereien, und immer waren sie aufgeflogen, morgens alle verkatert am Strand, Kopfschmerzen, klebriger Geschmack im Mund, die nachmittäglichen Stunden jener Hundstage, der Deckel des Kofferraums so heiß, dass man Spiegeleier darauf hätte braten können, zu wem hatte sie das gesagt, und wie stolz war sie damals dort im heißen Sand gewesen, als sie mit Tiberiu Fußball gespielt hatte, dem schönsten Kind der Welt, vielleicht … beide nackt, ich hatte mich für nichts zu schämen brauchen, noch war ich jung gewesen, die Haut hatte glatt und straff auf unseren Muskeln gesessen, wie die Seide eines geöffneten Fallschirms, das sollte ich mir notieren, in der Pfanne ist noch etwas Öl vom Omelette gestern, ich wasche sie jetzt nicht ab, ich gieße welches dazu, das merkt man sowieso nicht, bis er zurückkommt, werde ich hoffentlich fertig, wie wäre es, wenn er mir eine Überraschung bereitete, Nino brachte mir blühende Zweige oder ausgesetzte Kätzchen mit. Dracula ist von selbst an meine Tür in der sechsten Etage gekommen, eine Woche vor der Revolution, wir sagten, sie bringt Glück, und dann starb Nino. Es klingelt, ich gehe öffnen.
    Du bist grade richtig. Ach, du hast Bier mitgebracht, und kühl ist es auch noch. Oh, eine gute Idee hast du da gehabt. Ich decke gleich den Tisch. Anna holt aus dem Schrank die gestärkte holländische Tischdecke mit Makrameesaum, in die Mitte ist ein rotes Monogramm gestickt, ein Erbstück vonGroßmutter, sie stellt die Teller mit dem Goldrand auf den Tisch, die bauchigen Kelche mit dem kurzen Stiel und das echte Solinger Besteck. Die Suppe dampft in den Tellern. Beide löffeln sie still. Er salzt nach, sie kocht ohne Salz, wegen ihrer Herzkrankheit. Schweiß tritt auf seine Stirn. Die Suppe erhitzt uns noch mehr, oder vielleicht ist es die

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