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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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wohl vom Weihnachtsmann gebracht worden, korrigierte er das Wort und machte aus Pennsylvania Penisslavia. Anscheinend war ihm als Russophilen das Wort Slavia näher. Der grüne Blick hält ein Lachen zurück. Er entspannt sich plötzlich, verharrt beim Zigarettenpäckchen, das in der Mitte des Tisches thront, verfolgt die Zigarette auf ihrem Weg zum Mund, blinzelt dann eine Sekunde in die Flamme des Feuerzeugs. Sie kann die Augen nicht von ihm abwenden. Wahrscheinlich sieht er nach dem Liebemachen genauso aus, so zufrieden, so gemütlich. Warum versuche ich bloß derart starrköpfig, ihn mir hässlich zu reden oder einen Fehler an ihm zu finden. Ich bin wie der Fuchs, der nicht an die Weintrauben kommt und behauptet, sie wären sauer. Ich fühle mich vor diesem Jungen schuldig, die ganze Zeit über stehle ich ihn mir schon. Aber wenn er es nun weiß, wenn er spielt, wenn er mich auflaufen lässt, vielleicht bezweckt er damit irgendetwas. Es ist unverzeihlich, wie schrecklich er mich mit seiner hündischen, gutgläubigen Anhänglichkeit beherrscht, »immerfort, meineschweigende Begleiterin« kommt mir in den Sinn, meine Seele empfindet ihn wahrscheinlich so. Ich muss mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Anna räumt die Teller und das Besteck zusammen. Sie stellt eine Obstschale mit Bananen auf den Tisch. Sag, ob du Kaffee möchtest, oder ob wir ihn noch etwas aufschieben wollen. Der grüne Blick ist träge geworden, er vegetiert, wartet. Du hast etwas von einer Boa, die Siesta hält. Ich will dich damit nicht kränken, eine Schlange ist faszinierend und beängstigend. Wieder hält sie plötzlich inne. Wieder ist sie zu weit gegangen. Anna kontrolliert sich instinktiv, sie wagt sich gerade weit genug vor, um ihn zum Nachdenken zu bringen, dann biegt sie ab, zu seiner Verwirrung. Aber zurück zur Literatur, ich sprach gerade von Günter Grass. Stell dir vor, er erscheint bei uns mit einer Verspätung von vierzig Jahren, wie wird man ihn da wohl aufnehmen? Hier passiert etwas, die Wertmaßstäbe verändern sich schneller als in anderen Bereichen, und doch gibt es Schriftsteller, vor allem Lyriker, die sich, ich weiß nicht, vielleicht aus Unvermögen oder aus einem Instinkt heraus, nicht vereinnahmen lassen, unangetastet entkommen sie der Gewalt des Neuen. Du wirst lachen, ich habe vor Kurzem die ersten Bände Aurelian Titu Dumitrescus gelesen – ich will immer Titu Maiorescu sagen –, genauer gesagt Ante mortem und Quasimodo , wahrscheinlich kennst du sie. Das ist zeitlose Lyrik. Sie hat nichts Schockierendes, nichts Provozierendes, und doch eine solche Kraft. Ich muss dir schrecklich auf die Nerven gehen mit dieser Verteidigungsrede für ATD. Ich weiß, ihr mögt ihn nicht. Sicher, indem er gegen die Strömung schwimmt und Sonette schreibt, riskiert er, in einerSackgasse zu landen. Aber wenn er dabei nun einen anderen Weg findet? Vierzig Jahre, das ist das Alter der großen Veränderungen. Terry ist ein Beispiel dafür, erst nach vierzig Jahren zeigte sie wirklich ihr ganzes Können. Ich weiß noch, Herr Şora, den wir beide kannten, sagte zu uns, eine Frau von vierzig Jahren sei heute das, was zu Balzacs Zeiten la femme à trente ans geheißen habe. Während dieser Zeit arbeitete ich mit Terry beim Kriterion-Verlag, es war wie verhext, wie durch eine Ironie des Schicksals landeten wir immer in nächster Nähe. Nur in der Zentralen Staatsbibliothek waren wir nicht zusammen, und natürlich auch in den folgenden Jahren nicht, als sie sehr hoch aufgestiegen war, davon wagte ich nicht einmal zu träumen. Was soll man nun von Anna halten, die dreimal entlassen wurde, obwohl sie eine gewissenhafte Angestellte war, die alles, was sie in Angriff nahm, wirklich aus ganzem Herzen tat. Ob nun die Tatsache schuld war, dass sie ihre Vorgesetzten mit Gleichgültigkeit strafte, oder ihr Mundwerk zu locker gesessen und sie ins Unglück gebracht hatte. Beim Neuen Weg war ihr Arbeitsvertrag aufgelöst worden, weil ich nach der Geschichte mit Penisslavia ein Gedicht mit dem Titel »Und die Dummheit zog aus, den Phallus zu erobern« verfasst und es im Büro vorgelesen hatte. Ich verklagte die Redaktion und war überzeugt, ich hätte alle Chancen zu gewinnen, da ich nach Artikel C entlassen worden war, unangemessenes Verhalten am Arbeitsplatz. Ein halbes Jahr vorher war ich per Wettbewerb eingestellt worden, damals fanden sie mich also gut, sogar ein Zeugnis hielt ich in den Händen. Ich war fast noch ein Kind, mit meinen

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