Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
dreiundzwanzig Jahren hatte ich noch nie einen Tribunalsaal betreten. Der Anwalt, der dieZeitung vertrat, begleitete mich in den Gerichtssaal und sagte, unser Fall werde erst in einer Stunde entschieden. Er war ein Herr von etwa fünfzig Jahren, elegant, höflich, zuvorkommend. Er lud mich zu einem Imbiss im Capşa ein, von dem ich nicht mehr wusste, als dass Ion Barbu und Artur Enăşescu dort zu den Gästen zählten. Ich glaubte für einen Moment, in eine andere Welt einzutreten, in eine Welt, die mir sonst nicht zugänglich war. Das Capşa galt damals als das erlesenste Restaurant, noch weit vor dem Athénée Palace und dem Cina. Als wir hineingingen, versagten mir die Beine; ich wagte nicht, auf den Teppich zu treten, er war von einem so dunklen Rot, so weich, dass man sich auf ihm hätte schlafen legen wollen, ich wagte nicht, mich unter den Kandelabern, die dem Raum eine aristokratische Gemütlichkeit gaben, auf die Stühle zu setzen, die ihrerseits mit weinrotem Plüsch bezogen waren. Ich merkte, dass ich nicht sprechen konnte, mein Mund war plötzlich trocken, meine Hände und Achseln hingegen waren klebrig und nass; ich holte tief Luft, versuchte durch die Nasenlöcher den Geruch zu prüfen, den ich ausströmte. Erst dann sah ich, dass ich schwarze Schuhe trug und eine braune Handtasche, dass ich mir die Haare mit einem von Vaters Schnürsenkeln zusammengebunden hatte, dass ich nicht wusste, wie man ein Fischmesser benutzt, ich hatte damals zum ersten Mal den gelatineartigen, sinnlichen Geschmack von Kaviar und die süßlich bittere Note von Wermut auf der Zunge. Und selbstverständlich vergaß ich, auf die Uhr zu sehen, um mich beim Prozess nicht zu verspäten. Als ich endlich dort ankam, teilte man mir mit, ich hätte aufgrund meiner Nichtanwesenheit verloren. Anna war sowohl von derZentralen Staatsbibliothek gekündigt worden als auch von Kriterion. Sie hatte die Chefs auf dem Kieker gehabt. Sie ruhte nicht eher, als bis sie alle vollständig gegen sich aufgebracht hatte, weil sie ihnen direkt ins Gesicht sagte, was sie von ihnen hielt. Vielleicht hatte sie so ihre Eitelkeit zum Ausdruck gebracht, vielleicht hatte sie so ihre Überlegenheit auf die Probe gestellt, zu ihrem Unglück jedoch genau in den unpassendsten Momenten. Ich platzte unangekündigt bei der Direktorin herein, mitten in die Sitzung des Führungskollektivs; ich war wütend. Denn ich hatte gesehen, wie sich alle, einer schlimmer als der andere, das Maul zerrissen, um eine Kollegin von den Periodika anzuschwärzen, nur weil sie nicht dauernd nach ihrer Pfeife tanzte. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen, und du kannst dir ja denken, alle waren zugegen, ich schrie der Direktorin ins Gesicht, sie umgebe sich mit einer Camarilla von Arschkriechern und übernehme die Leitung nur, weil man ihr Honig ums Maul schmiere. Ich will dir nicht verschweigen, ich hatte die Versetzung schon in der Tasche und wollte die Gelegenheit zur Abkühlung nicht verpassen, die Würfel waren ja schon gefallen. So kam ich zu Kriterion. Es dauerte ziemlich lang, bis ich feststellte, dass fast alle Leute einen bizarren Hang zur Journaille haben. Alle gieren sie nach neuen Vorkommnissen, danach, sich über irgendwelche Tatsachen auszulassen, einander unter die Lupe zu nehmen, zu schwärzen was grau ist, Sensationen zu schaffen, zu erregen und letzten Endes den Trampelpfad der Herde umzulenken. Selten habe ich jemanden getroffen, der nicht mit Inbrunst im Dreck wühlte, damit der Geruch sich möglichst weit ausbreitet. Ich verabscheue nichts so sehr wie die Leichtigkeit,mit der ein Journalist Meinungen schafft, die der Befriedigung von Hass und Rachegelüsten dienen. Ich übersetze gerade Ernst Jünger und habe einen Satz aus seinem Text behalten, der mich geradezu schockiert hat. Er lautet ungefähr so: »Es gibt dort keine Freiheit, wo Pressefreiheit herrscht!« Ich glaube, dass viel Extremismus und sehr viele Morde, Attentate, Terroranschläge, sogar Kriege ohne diese hirnverbrannte Pressefreiheit hätten verhindert werden können. Nun gut, alle Menschen, aber auch wirklich alle, sind besessen von dem Wunsch, die Wahrheit zu entstellen und die anderen zu diskreditieren, um sich anschließend selbst ins beste Licht zu rücken. Und nicht nur das. Sie hören nicht auf, bis sie dich mit ihren Meinungen komplett auf ihre Seite gezogen, bis sie Misstrauen und Hass in dir gesät haben. Ich will in Ruhe gelassen werden, niemand soll meine Gutgläubigkeit besudeln. Es ist so
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