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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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wunderbar, zu glauben, die Welt und die Menschen seien besser als sie es sind. Wie gesagt, ich kam zu Kriterion. Und dort ereilte mich dasselbe Schicksal. Kein Zweifel, das Alter von vierzig Jahren markiert eine Wende. Damals bekam ich sogar Publikationsverbot. Sie warfen mich raus, weil sie im Büroschrank Romane von Solschenizyn gefunden hatten. Fotokopierte Bücher, die nicht ich, sondern Terry in den Verlag mitgebracht hatte. Aber sie hatte bereits eine gute Figur abgegeben, wie man heute sagt, und niemand hätte sie verdächtigen wollen. Du wirst sagen, ich leide an Verfolgungswahn, im Gegenteil, hätte nicht ausgerechnet der BOB-Sekretär mir die Augen geöffnet, würde ich bis heute den Grund für meine Kündigung nicht ahnen. Seltsam, dass ich nicht missmutiger geworden bin, ich lehne es ab, zuglauben, jemand wolle mir etwas Böses. Vielleicht habe ich mir eine – wenn auch lächerliche – Unschuld bewahrt, oder eine zu gute Meinung von mir selbst, aber ich glaube, hier geht es vor allem um eine Art Selbstschutz. Und eins ist sicher, ich will frei bleiben, ich will mir meine Freude am Leben nicht vergällen und meine Seele nicht vergiften lassen.
    Der grüne Blick belebt sich für einen Augenblick, Anna spürt seine Bewunderung, sie rieselt ihr übers Gesicht, wie eine erfrischende Dusche. Unwillkürlich rafft sie ihre Bluse am Hals zusammen. Wenn er mich weiter auf diese Weise ansieht, muss ich jedes Stück unbedeckter Haut vor ihm verbergen, er stellt mich sonst bloß. Sie klammert sich an Terry und ihre Geschichte wie an einen Rettungsring. Beide hatten sie Solschenizyn gelesen, aber als der Leiter der deutschen Abteilung hereinkam, war nur sie mit dem Band Krebsstation erwischt worden, er hatte offen auf dem Schreibtisch gelegen, mein Pech. Bei der ersten Umstrukturierung wurde mein Arbeitsvertrag aufgelöst. Terry kümmerte sich um ihre Angelegenheiten. Inzwischen war sie Parteimitglied geworden. Wir trafen uns immer seltener. Sie erhob gegen all meine Aussagen und Reaktionen Widerspruch. Merkst du nicht, du bist unrealistisch und völlig übergeschnappt. Und dieser schwachsinnige Widerstand, mit dem du der ganzen Welt entgegentreten willst, besonders den Chefs; hast du dich nie gefragt, warum du ausgerechnet denen die Freundschaft aufkündigst, die dich in ihren Möglichkeiten übertreffen? Glaubst du nicht, da ist Neid mit im Spiel? Neid und Feigheit. Ich schwieg. Ich wälzte ihre Sätze in meinem Kopf hin und her. Fast war ich überzeugt, dass sie recht hatte. Aberich konnte mich ums Verrecken nicht ändern. Ich hätte mich um nichts in der Welt mit jemandem anfreunden können, der Vorgesetzter war. Ich habe es dir ja schon gesagt. Ich fühlte mich wohl mit meinen Möglichkeiten. Der Bereich, in dem mein Ehrgeiz sich freizügig ausstrecken konnte, in dem ich der Anführer war, das war mein Inneres, dort ließ ich meine Chimären, die weißen Zwerge, die roten Riesen, die Supernovas und die Quasare auf Umlaufbahnen kreisen, die ich selbst gezogen hatte. Ich erzähle dir hier die banalsten Dinge, und dabei kommen mir Bruchstücke meiner Gedichte in den Sinn. Ich könnte ohne nachzudenken immer so weiterreden. Es tut mir gut, mich in dich auszuschütten wie in einen grünen, klaren See. Ich weiß nicht, ob du mich verstehst. Ich fühle mich so befriedet, wenn ich mit dir rede, so sehr, dass ich meine Einsamkeit mit dir verwechsle. Hast du nicht gemerkt, dass wir nie über Politik sprechen, oder über den Zirkus des Literaturbetriebs, oder über die Mafia der Künstlerverbände und Verlage, nicht einmal über die Bedingungen des Schriftstellerdaseins. Wollüstig stürzen wir uns einer in den anderen. Wenn ich jetzt dreißig wäre, würden wir uns verlieben. Ich hätte dir das lieber nicht gesagt, aber die Zunge war schneller als der Gedanke. Sein Blick schreckt panisch auf wie ein Hund, der aus heiterem Himmel von einem Stein getroffen wird. Keine Angst, ich nehme dich nicht in Beschlag. Er ahnt gar nicht, wie durcheinander ich bin mit meinen Gedanken. Wieso wurde mir ein solches Glück beschert und zugleich so viel Unvermögen. Ich lebe nur noch, indem ich es mir vorstelle. Mein Leben ist in eine Vorstellung gezwängt. Mein altes Gesicht, das ich an seiner starken Brust verberge – um eineEwigkeit so zu verharren und mich aufzulösen in diesem Ungeheuerlichen. Nun, wie ich schon sagte, Terry befreundete sich mit der UTC-Sekretärin. Ich habe nie verstanden, wie sie so einen Tausch eingehen konnte, sie

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