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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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schon bei Volk und Kultur arbeitete, einer Art Cântarea României in deutscher Ausführung, bot man mir an, in die Partei einzutreten. Ich zögerte nicht lange und sagte mir, wie wär’s, wenn ich auch das noch täte. Ich wollte immer frivol scheinen. Ging mit Leichtigkeit über Tabus hinweg, es reizte mich, alles zu entweihen. Ich glaubte nicht, dass es etwas dermaßen Heiliges geben konnte, als dasses nicht auch seine lächerliche Seite hatte. Über Treuepakte, über Schwüre lachte ich nur. Wie viele große Worte passen in einen Luftballon, der platzt. Die Schwüre der Verliebten, der Freunde, der Treueeid auf das Vaterland, all das ist nur Form ohne Inhalt, denn nichts ist von Dauer. Am Ende wischt die Zeit all diese Additionen ja doch mit einem Schwamm von der Tafel. Entschuldige meinen Einschub, ich wollte nur, dass du siehst, was wir zu sein glauben und was wir in Wirklichkeit sind. Ich entdeckte meine innere Moral an jenem Tag, als ich zum Eintritt in die Partei den Eid ablegte. Ich werde nie den Moment vergessen, als ich im Büro des Direktors – es war ein großer Raum, der als Sitzungssaal diente – strammstehen und vor den Kollegen meinen Treueeid verlesen musste; sie starrten mich an, wollten keine Geste, keine Regung meines Gesichts verpassen. Die Scham und den Ekel, den ich mir selbst gegenüber empfand, und den Zwang, dem ich mich unterwerfen musste, habe ich danach nie wieder so gespürt. Ich sprach den Eid stammelnd, meine Kehle war vor Widerwillen zugeschnürt, und nach der Hälfte des Textes bekam ich einen Heulkrampf, meine Machtlosigkeit brach mit aller Wucht aus mir heraus. Natürlich waren sämtliche Anwesenden höchst beeindruckt von meinen aufrichtigen Gefühlen bei diesem Ereignis, das ja nur mit der Erstkommunion vergleichbar war. Ich schämte mich, weil ich nie lüge, außer in meinen Manuskripten, ich weiß nicht einmal, ob ich dann lüge, es packt mich so eine bis zum Zynismus reichende Lust, mich schlechter zu machen, als ich bin. Dieser Mut, mich zu entblößen und vor aller Welt zu verunstalten, hat mir tatsächlich unverhoffte Anerkennung eingebracht, vor allem von jungenLeuten. Ganz zu schweigen davon, dass ich mich ohne das Schutzschild der Ironie verunglimpfe, und es vollkommen ernst meine. Ich übertreibe mit meiner Ehrlichkeit in dem vollem Bewusstsein, dass mir das Profit bringt. Jaja, Mut und Offenheit können sehr rentabel sein. Ich muss jedoch gestehen, dass die Alltagsehrlichkeit eine ziemlich unvorteilhafte Sache ist, nur wenn man schlecht lügt, ist es noch schlimmer. In Timişoara schickte mich meine Mutter einmal, ich war damals ungefähr neun Jahre alt, eine Postkarte einwerfen. Als ich losging, impfte sie mir ein, ich solle sie auf keinen Fall lesen. Kaum war ich auf der Straße, tat ich wie jedes Kind genau das, was mir soeben verboten worden war. Meine Mutter sah mir vom Fenster aus nach. Als ich zurückkam und schwor, ich hätte die Karte nicht gelesen, bestrafte sie mich mit einem Sadismus, den nur ihre teutonische Herkunft rechtfertigen kann. Sie schlug mir mit einer Drahtbürste auf die Hände und ließ mich auf Nussschalen niederknien. Seit damals habe ich nicht mehr gelogen, sogar als ich Nino einmal betrog, konnte ich nicht anders, als es ihm zu sagen. Der Mann vor ihr schrickt überrascht hoch. Es fällt ihm schwer, sich vorzustellen, eine so respektable Dame habe ihren Ehemann betrogen und erkläre das nun freizügig vor aller Welt. Der grüne Blick kehrt verblüfft zu ihren Augen zurück, fragend, dann gleitet er ab auf Annas Wangen, zieht hinter sich die Läden zu. Er hatte immer geglaubt, sie sei makellos. So erklärte sich auch seine tiefe Bewunderung für sie, er hatte sie wie einen tabuisierten Gegenstand betrachtet. Natürlich hätte eine solche Offenbarung, wäre sie von einer anderen, selbstverständlich jüngeren Frau gekommen, ihn wie jeden Mann ermutigt, aber aus ihremMunde stieß es ihn ab, sein Idol war vom Sockel gekippt. Er war wie ein Kind, dessen Lieblingsspielzeug kaputtgegangen war. Sie erkannte, dass sie sich ihrerseits getäuscht hatte, er war nicht der Mensch, der sie so akzeptierte, wie sie war. Sie kam immer mehr zu der Überzeugung, dass die Tiere die einzigen Wesen sind, die einen so annehmen, wie man ist, denn sie erschaffen dich nicht, sobald sie dich sehen, so wie wir uns Gott nach unserem Angesicht erschaffen, sie vergleichen und richten uns nicht.
    Anna nimmt ihre Katze auf den Arm und streichelt sie mit langen, sanften

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