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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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das eine Organ am Leben erhält, mit dem ich schreibe. Für Nino habe ich gebetet, dass er gesund sein möge dort, wo er sich jetzt aufhält, dass er Erfolg hat in dem, was er tut, dass er von den Frauen geliebt wird. Es muss eine Welt geben, die parallel zu unserer existiert, eigentlich will ich sagen, ich wollte, es wäre so … Ich werde weiter von Nino erzählen, auch wenn ich ihn damit langweile. Unmöglich kann ihm entgangen sein, dass Nino in den wichtigsten Augenblicken meines Lebens noch immer bei mir ist, er kann unmöglich nicht bemerken, dass unsere Verbindung sich niemals lösen wird. Es beruhigt mich, über Nino zu sprechen, ich bin eine kleine, bösartige Egoistin. Ich merke, dass die Anwesenheit meines ehemaligen Gatten in meinen Gedanken auch den Mann vor mir beruhigt. Dieses Bekenntnis könnte als Garantie dafür dienen, dass mein Hingezogensein zu ihm ganz und gar harmlos und die Liebe, die ich ihm zeige, rein mütterlich ist.
    Anfangs wohnte ich mit Nino im Tei-Viertel. Damals waren wir sehr arm. Er verkaufte Bücher auf Provisionsbasis. Vor dem Militärpalast, etwas Besseres hatte er nicht finden können, aufgrund eines Vorfalls, den ich dir jetzt nicht auch noch erzählen möchte, es wäre sinnlos. Ein anderes Vergnügen als die Abende beim Literaturzirkel konnten wir uns nicht leisten. Wir gingen wöchentlich zum Kulturhaus Magda Isanos , dieser Name wird dir vielleicht etwas sagen, eventuell hast du ihn in deiner Kindheit gehört, sie war eine sehr gute Lyrikerin, schade, dass sie so jung gestorben ist. Damals trugen fast alle Literaturzirkel die Namen militanter Kommunisten: Theodor Neculuţă, Păun Pincio, A. Toma und die vieler anderer, es gabja genug. Dort habe ich Nino kennengelernt. Es war die Zeit, als wir uns beibrachten, Dichter zu sein. Wir liefen in Turnschuhen herum und lasen in den Parks Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke , und nachts vor dem Einschlafen, wenn wir ineinander verschlungen unter der Bettdecke lagen, weil das Feuerholz nass war und nicht brannte, lasen wir Gedichte von Federico García Lorca. Er zog am 1. Mai bei mir ein. Der 1. Mai fiel in jenem Jahr auf einen Montag, zur Freude der Arbeiterklasse, sie gewann einen freien Tag hinzu. Er kam zum Mittagessen mit einem blühenden Kirschzweig. Ich hatte nichts zum Nachtisch und servierte ihm granuliertes Kalziumglukonat. Es war süß und angenehm zu knabbern. Wer weiß, womit ich ihn so verzauberte, aber er ging nicht mehr weg. Damals verkaufte er noch nicht auf Provisionsbasis. Die Nachmittage und Nächte gehörten uns. Er wartete jeden Tag an der Tramstation auf mich, wenn ich von der Arbeit kam, wie ein braver Hund. Wie du, hätte sie beinahe gesagt, aber sie riss sich zusammen. Er hatte eine Hingabe, die sie bis dahin noch bei keinem erlebt hatte. Wir waren unzertrennlich, sogar Brot und Zigaretten gingen wir zusammen einkaufen. Es war meine schönste Liebesgeschichte. Wenige Gesten schmeicheln einer Frau so sehr wie eine dermaßen absichtslose Hingabe. Bei ihm verquickten sich Glaube und Demut zu einer Art Frömmigkeit. Wer sich dir hingibt, lässt dich Bewunderung spüren. Er vermittelt dir ein religiöses Gefühl, das dich erotisch anfacht wie alles, was mit Vergötterung zu tun hat, so ist auch die Kirche der erregendste Ort für die Liebe. Jedes Mal wenn ich verliebt war, habe ich Gott als etwas sicher und unstrittig Anwesendes gespürt. Auch wenn ich ihn inder Routine des Alltags meist vergesse. Nur in der Liebe und in der Poesie bin ich von seinem Wesen erfüllt. Dann identifiziere ich mich mit ihm. Alles, was ich tue, ist so, als täte Er es. Ich glaube, das nennt man den Zustand der Gnade. Mangels göttlicher Offenbarungen, so wie Pascal und die Heiligen sie wohl hatten – ich habe nie eine gehabt, wahrscheinlich bin ich keine Auserwählte –, glaube ich also, dass ich nur in der Liebe und in der Poesie dieses Wunder erlebe.
    Zu unserer Hochzeit kam auch Terry, sie stand Nino sehr nahe, ich weiß nicht, ob nur geschwisterlich. Oft fühlen wir uns von den Partnern unserer Freunde angezogen. Vielleicht, weil wir sie schon vorher über jemand Nahestehenden kennen; wenn ein Mann beispielsweise von einer meiner Freundinnen erwählt wurde, dann hatte er auch etwas mit mir gemeinsam. Hier ist die Rede von Übertragung, ich glaube, du verstehst, meistens geht es schnell vorbei, weil diese Neigung in Wirklichkeit nur artifiziell, vielleicht auch zu bequem ist. Ich habe damals eine Dummheit

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