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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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Laune heraus virtuos sein.« Terryhatte mir verwundert zugehört. Wie bringst du es nur fertig, das alles zu behalten? Ich habe es auch gelesen und kann mich an überhaupt nichts erinnern. Ich weiß nicht, ob ihre Worte Bewunderung oder Abscheu ausdrückten. Damals sah ich sie sehr kritisch. Ich dachte, meine Freundin lese bestimmte Bücher nicht aus Leidenschaft, sondern allein, um sie ihrer Siegesliste hinzuzufügen, ich glaube, nicht einmal diejenigen über Literaturtheorie interessierten sie wirklich, brachten aber einen direkten Nutzen. Ich merkte, dass ich begonnen hatte, bösartig und ungerecht zu Terry zu sein, das geschieht wohl in jeder Liebe so, wenn ein paar Jahre vergangen sind. Aber mal im Ernst! Kommt es denn wirklich darauf an, ob man etwas aus dem Mythos des Sisyphos behält oder nicht? Hätte sie kein Talent gehabt, hätte Terry lesen und sich zu allen jemals verfassten Essays Notizen machen können, und sie wäre doch keine große Schriftstellerin geworden. Apropos, hast du ihr letztes Buch von mir bekommen, das ich aus dem Deutschen übersetzt habe? Anna steht auf, stützt ihre Fäuste auf das Polster des Sessels, zieht kurz eine Leidensmiene, dann richtet sie schnell ihren Rücken auf und geht zum Regal. Sie hat ein spezielles Fach für ihre Übersetzungen, nimmt ein Buch heraus und kommt zurück zum Sessel, dann verlangt sie nach einem Kugelschreiber und schreibt auf den Knien: Meinem Freund in … hier zögert sie, sie weiß nicht, ob sie ewige Verbundenheit schreiben soll oder Liebe, Liebe kann auch mütterlich gemeint sein, Verbundenheit hieße nur das eine … Sie schreibt »Verbundenheit«, signiert, setzt das Datum dazu, schließt das Buch und streckt es ihm hin. Der Mann nimmt es entgegen und küsst ihr die Hand – wenn man weiß, dass mannie weiter gehen wird, ist ein Kuss auf die Hand aufregender als ein Kuss auf den Mund.
    Während sie durch das Zimmer geht, hat er sich eine Zigarette angezündet, etwas Asche gerät ihm auf die Tischdecke, beschämt versucht er, sie mit einer Serviette abzuwischen, ein paar kaum wahrnehmbare graue Streifen bleiben auf dem weißen Leinen zurück, wie dünne Bleistiftstriche. Als Anna zum Tisch zurückkehrt, fragt sie ihn mit unschuldiger Miene, als erinnerte sie sich soeben an etwas: Glaubst du nicht auch, dass man mit Asche zeichnen könnte? Der grüne Blick hebt sich einen Augenblick, schrickt dort unter den Wimpern zusammen, wie ein Gewebe, in das man die Spitze einer Nadel hineinsticht, und senkt sich unvermittelt, er steckt das Buch in die Jackentasche, ohne es zu öffnen. Sie hat einen augenlosen Mann vor sich.
    Warum bin ich bloß so hart mit meinen Freunden, sobald sie besonders großen Wert auf Beziehungen legen, auf einen angemessenen sozialen Status, auf materiellen Gewinn und vor allem auf Ruhm? Ich denke da an Terry, die inzwischen auch im Westen bekannt geworden ist, an Andrei, der alle Zeitschriften füllt und angestrengt Beziehungen und internationalen Auftritte nachjagt, sogar an dich, du hast in der letzten Zeit ein paar Bücher veröffentlichen können, weil du getan hast, was zu tun war, und Sponsoren gefunden hast. Manchmal habe ich den Verdacht, dass ich neidisch bin, seltsam, du wirst lachen, nicht auf euer Talent, sondern auf eure literarischen Erfolge, auf diese unermüdliche Energie, die ihr aufbringt, um eure Beziehungen zu pflegen. In der heutigen Welt könnte meine anachronistische Auffassung fast für einebeginnende Sklerose gehalten werden. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, sogar wenn ich mit ihm rede, verlässt mich meine Koketterie, vielleicht ist auch die Koketterie so etwas wie ein Gedächtnis. Es schert mich nicht mehr, ob er mich nun bemitleidet oder mich gar auslacht, vielleicht brüstet er sich in der Kneipe damit, dass die alte Schachtel verrückt nach ihm ist, soll er doch, es wäre nicht das erste Mal; aber seine Geduld mit mir verrät doch den großen Wunsch, endlich von jemandem wahrgenommen zu werden. Ich merke, ich hatte unrecht mit der Behauptung, Terry wäre konservativ, ich bin viel konservativer als sie. Vielleicht gehörte ich geistig gesehen eben einer anderen Sorte von Dichtern an, zu denen, die Hungers starben, sich in Alkohol ertränkten und vor ihrer Zeit in den Straßengräben verendeten. Ich habe sie immer verstanden. Ich habe sie sogar geliebt. Als Künstler hielt ich sie für adeliger. Mein Irrtum wird mir immer offensichtlicher. Als hörte ich Omama sagen: Nobel geht die Welt zugrunde!,

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