Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
Vom Netzwerk:
immer tiefer in sie eindringen. Sie fühlt ihre Arterien, das Blut, das Geschlecht. Sie muss stöhnen, sie geht ins Bad. Als sie in den Spiegel sieht, erschrickt sie. Sie ist rot, als hätte jemand ihr Gesicht gehäutet. Sie fängt an herumzuhantieren, um wieder in ihre gewohnte Haut zu schlüpfen, faltet ein paar Handtücher, die achtlos herumliegen, und dann wieder das Bild der Hunde … Ich muss etwas finden, was mich aus diesem Zustand herausholt. Ich fühle, wie ich immer mehr versinke. Was ist mit mir, verdammt noch mal. Ich kann nicht mit ihm schlafen, und seine Mutter kann ich auch nicht sein. Wenn ich weitermachen würde – ich bin sowieso schon zu weit gegangen –, dann weiß ich nicht, was noch geschieht, oder ich sterbe in seinen Armen diesen göttlichen Tod, von dem Kawabata spricht, oder aber er wird das Weite suchen, nachdem er das Licht angeschaltet und mich gesehen hat. Ich bin total verrückt geworden. Ich muss an etwas anderes denken, wie wenn man Zahnschmerzen hat und Kreuzworträtsel löst. Zum Beispiel an den Colonel oder an Yassir Arafat, wirklich zu empfehlende Personen, wenn man seine Lust auf Männer loswerden will. Sie muss lachen, das Blut kehrt in seine gewohnte Bahn zurück. Sie geht wieder ins Zimmer. Ich rede hier von Beatniks und Drogen, aber während die ihr Unterbewusstsein durchwühlten und ihren Verstand peitschten, ihn dauerprovozierten, was stellten wir hierin der Zwischenzeit an? Wir waren die Allerbravsten und die größten Angsthasen von allen. Als Terry in die Partei eintrat, fragte ich sie, warum sie eingewilligt hatte. Ihre Antwort kam prompt, und ich merkte, sie war ehrlich; wenn ich nicht eingetreten wäre, dann würde ich nie etwas erreichen, ich würde mein Leben lang ein kleiner Redakteur bleiben, aber nicht nur das, ich glaube, wenn viele von uns eintreten würden, dann könnte man von innen heraus etwas verändern. Ihre Argumente klangen überzeugend, und wenn ich sie anfangs abgelehnt hatte, bewunderte ich sie jetzt. Ich begann ebenfalls zu glauben, es wäre gut, wenn viele von uns einträten und etwas im Inneren bewegten. Wir waren allesamt davon überzeugt, dass man diese so gut gerüstete Diktatur nicht von außen einreißen konnte. In der Parteiorganisation des Schriftstellerverbands gab es Menschen mit liberalen Ideen, die zu kämpfen verstanden. Man könnte fast sagen, dass die Parteiorganisation des Schriftstellerverbands ein Hort des Widerstands war. Gerade deshalb wurde sie, als sie unbequem zu werden begann, von den Verlagen und Redaktionen gesprengt, sodass sie keinen Zusammenhalt mehr bot. Hörst du den Hund da draußen heulen? Vielleicht hat ihn jemand geschlagen, oder sie raufen sich um Knochen und Hündinnen. Seit ich denken kann, habe ich noch nie so viele Köter auf den Straßen gesehen. Sie rotten sich zu Meuten von zehn, fünfzehn Tieren zusammen und lungern bei den Fleischereien herum oder an den Treppenaufgängen der Blocks. Die Leute lassen sie gewähren. Die Rumänen sind die tolerantesten Menschen der Welt. Deshalb gibt es ja bei uns auch Ratten und Kakerlaken. Deshalb haben sich die meisten Zigeuner inEuropa auch hier bei uns niedergelassen. Zweifellos funktioniert auch hier das Prinzip »Es geht auch so« … O weh, wie furchtbar er jault. Warum schreien Tiere und Menschen vor Schmerzen? Um Aufmerksamkeit zu erregen. Jeder Schrei ist ein Schrei nach Hilfe, ein Warnsignal. Dass die Menschen sich nicht von den Schreien ihrer Artgenossen stören lassen ist eine schwere Sünde, scheint mir, sie missachten die natürliche Äußerung des Instinkts, sie handeln gegen die Natur, gegen das Recht auf Verteidigung, das für alle Wesen gilt. Aber warum heben wir die Stimme auch vor Wut, vor Scham – weil auch das ein Schmerz ist –, der normale Zustand des Menschen ist nicht Hass oder Ärger. Siehst du, wieder mein lächerlicher Wunsch, mir meine gute Laune und ursprüngliche Unschuld zu bewahren. Aber was sagte ich grade? Ach ja. Auch ich trat später in die Partei ein. Für mich gab es nicht einmal mehr die Entschuldigung, ich hätte es aus irgendeiner Sympathie für die Parteipolitik getan oder für den obersten Führer, wie es Goma und viele andere beim Prager Frühling taten. Die Kadersprache lässt mich nie im Stich, wenn ich von diesen Zeiten spreche, so wie man sich an einen Liedtext erinnert, sobald man die Melodie summt. Ja, ich bin aus funktionaler Gleichgültigkeit Parteimitglied geworden. Nachdem ich bei Kriterion rausgeflogen war und

Weitere Kostenlose Bücher