Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
begangen, an die wir uns noch oft erinnerten. Zerstreut wie ich bin, vergaß ich meinen Ausweis zu Hause. Terry eilte mir schnell zu Hilfe, sie nahm ein Taxi und kam im rechten Augenblick mit den Papieren zurück. Ein Verstand mit größerer Vorstellungskraft hätte diesen Zwischenfall als Zeichen deuten können. Aber er war keins. Wir führten eine glückliche Ehe. Terry hat in der Zlătari-Kirche geheiratet, du weißt schon, wo das ist, gegenüber vom CEC, in der Calea Victoriei. Damals war sie noch nicht Parteimitglied. Es kommt mir vor, als sähe ich sie vor mir. Bildschön, im weißen Spitzenkleid, auf der vor Aufregung feuchten Stirn einen Maiglöckchenkranz. Sie war ganz rosig,ihre Haut verströmte Wärme. Ich dachte damals wie ein Mann und beneidete den, der neben ihr vor dem Altar stand, um die Nächte, die nun folgten. Nach der Hochzeit begann Terry, ein offenes Haus zu führen. Sie lud ihre Vorgesetzten ein, manchmal auch ihren Direktor, dauernd waren Schriftsteller und Literaturkritiker anwesend, sie knüpfte Beziehungen. Terry war ein hervorragender Manager, was ihre eigene Person betraf. Das Einzige, was sie störte, waren die etwas beschränkten Konversationen ihres Gatten, des Gynäkologen. Obwohl er ein imposantes Haus besaß, obwohl er ein angesehener Arzt war, schämte sich Terry seinetwegen vor den Schriftstellern, in deren Welt sie gelangen wollte. Sie verkörperten ihren Traum, nur durch sie glaubte Terry über ihre Verhältnisse hinauswachsen zu können, doch ihr Bohème-Leben und ihr fehlender Wille, sich ein Ziel vorzunehmen, stießen Terry ab. Ich weiß wirklich nicht, wie ihr so in den Tag hineinleben könnt, dieses Carpe diem, mit dem ihr Dichter euch brüstet. Ihr alle habt eine gewaltige Portion Histrionismus in euch. So wird euch nie etwas gelingen, allerhöchstens ein surrealistischer Werbespruch, der schon wieder in der Versenkung verschwunden ist, noch bevor er seine Wirkung getan hat. Ich glaube, man muss sein Leben insgesamt überblicken, mit der ganzen Verantwortung, man muss immer die Kontrolle darüber behalten. Ein Mensch sein, der weiß, was er will. Du wirst sagen, meine Ideale seien banal, aber ich werde nie an diesen mystischen oder erotischen Überspanntheiten oder an Fanatismus leiden. Ich werde nie Drogen nehmen. Ich hörte ihr zu und dachte an Ginsberg und seine durchzechten Nächte mit Kerouac, in denen sie ihre Rituale mit Kokainund diesem wunderbaren T abhielten, ihrer Lieblingsdroge, um in Wettstreit mit Gott zu treten. Glaub bloß nicht, dass ich eine Anhängerin von Drogen bin, Gott bewahre, würde ich im Westen leben, wäre ich krank vor Angst geworden, dass Tiberiu Drogen nehmen oder sich HIV einfangen könnte. Aber ich glaube, mit unseren kaum dreißig Jahren, die wir damals jung waren, hätte man mich noch dazu verführen können, wenigstens mal ein Gramm Haschisch zu probieren, trotz aller Risiken. Ein Freund erzählte mir, er hätte es ausprobiert, und das leise Geräusch des Urins, der ins WC floss, hätte sich so sehr verstärkt, dass er Orgelklänge zu hören glaubte. Meine Freundin war eine Anhängerin des Dauerhaften, ich des Augenblicks. Sie sagte, sie könne einer Liebe nur trauen, wenn sie sich aus einer Freundschaft entwickelt habe, ich glaubte blindlings an das, was man Coup de foudre nennt. Wenn ich mich richtig erinnere, begannen alle meine Lieben mit einem Coup de foudre. Ich war mir sicher, dass die beiden Hälften, von denen ich dir erzählt habe, sich in diesem Augenblick erkannten, oder zumindest waren es annähernde, trügerische Hälften. Gerade kommt mir Lilith in den Sinn, nach dem Glauben der alten Kabbalisten eine düstere Gottheit – eine schöne Frau –, eine Verkörperung des Trügerischen. Wahrscheinlich verführt sie uns mit solchen Hälften, die unserer eigenen ähneln. Gib mir bitte noch eine Zigarette, sonst greife ich in Ninos Aschenbecher, dort bewahre ich noch seine Stummel auf, manchmal zünde ich mir einen an und stelle mir vor, ich spüre seine Lippen auf meinem Mund. Der grüne Blick steigt wieder von den Händen zu den Armen, von den Armen zu den Schultern, über den Hals, zieht sich wie eineSchnecke in eins der Ohren zurück, wandert dann weiter über die Wangen und kommt zu Annas Augen, dort stößt er immer auf offene Türen. Ein paar Sekunden sehen sie einander in die Augen. Dann ist es Anna, die kapituliert. Die Wörter wollen ihr nicht mehr über die Lippen kommen. Als hätte sie sich betrunken. Sie lässt ihn
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