Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
Freunde, uns versammelt, und die Totenwache gehalten. Er hatte zwei Sorten Freunde gehabt, und wie es bei Totenwachen so üblich ist, hatten nach ein paar Gläsern beide Parteien angefangen, den Toten für sich in Beschlag zu nehmen. Es war eine regelrechte querelle entre les anciens et les modernes aufgeflammt, und auf beiden Seiten des Sarges hatten die Florette getanzt. Er gähnt und gähnt und gähnt. Er hat vergessen, seinen Blick anzuknipsen. Er bückt sich, um seine Schnürsenkel zuzubinden, und hebt einen Zahnstocher vom Boden auf. Nur der Tote hatte ungerührt dagelegen und in sich hineingeschmunzelt, wahrscheinlich hatte er gesehen, dass wir uns um ihn balgten wie die Hunde um einen Knochen, und er hatte sich gebauchpinselt gefühlt. Den Erzählungen meiner deutschrumänischen Dichterfreunde entnahm ich, dass Terry nicht nur eine Schriftstellerin war, die sie in die vorderste Reihe stellten, wie man sich ein Wappen an die Fahne heftet, sondern sie verehrten sie auch als Frau, Terry hatte sie mit ihrer direkten und sportlichen Art erobert, ich erinnere mich, dass sie mir bei einem unserer Treffen bei Gerhardt ein Interview zeigten, das sie einer österreichischen Zeitschrift gegeben hatte. Sie war gefragt worden, was sie am meisten auf der Welt liebe. Ihre Antwort war prompt und eindeutig gekommen: Liebe machen und Schreiben! Sie lagen ihr alle zu Füßen. Dieser Satz klang wie eine Einladung, eine Provokation. Der grüne Blick nimmt seine Tätigkeit wieder auf, er wühlt in ihren Augen wie in einer überfüllten Schublade, will dort ihre Reaktion auf diesen Satz finden. Ich gebe zu, hätte man mir so eine Frage gestellt, ich hätte nicht anders antworten können, denn außer diesenbeiden Gelüsten ist alles reine Rhetorik. Und eigentlich ist es ein und dasselbe; wenn du merkst, du musst schreiben, ist dein Körper fast genauso erregt wie vor dem Liebesakt, dasselbe Bedürfnis, sich seines Seins zu entleeren, das Onan vielleicht empfand, als er masturbierte. Ich denke dabei sogar an Gott, denn am Anfang war das Wort. Also trug das Wort die Erregung in sich, die es an die Tat weitergab. Anna erhebt sich, erschrocken über das, was sie gesagt hat, und geht ins Bad. Vorsichtig hebt sie den Klodeckel hoch. Sie öffnet die Sicherheitsnadel, mit der sie das Gummiband ihrer zu weiten Strumpfhose am Schlüpfer befestigt hat. Wenn mir solche Gedanken kommen, bin ich wie besessen, und wenn ich sie ausspreche, bekomme ich Angst. Ich fühle mich schuldig, als wäre ich Gott zu nahe gekommen oder blasphemisch gewesen. Und er, was wird er jetzt von mir denken? Habe ich ihn beeindruckt, bewundert er mich? Wenigstens das. Sie sitzt auf dem WC und hält den Urin zurück, damit er nicht auf einmal, sondern sachte und geräuschlos wie ein kleiner Bach ins Klosett fließt und man drüben nichts hört. Seltsam, wenn ich ihn in mir trage, erscheint er mir schwer, er erdrückt mich fast, und wenn er mich verlässt, ist es wie beim Badewasser, das um die Hälfte sinkt, sobald der Körper ihm entsteigt. Sie steht auf, reißt ein Stück Papier von der Rolle, wischt sich ab, ihre Finger werden nass, dann öffnet sie den Wasserhahn, wäscht ihre Hände, zieht die Spülung, wenn nur all diese intimen Funktionen geräuschloser wären. Sie kommt zurück ins Zimmer, lächelt ihm einen Augenblick lang in einem Anflug von Vertraulichkeit zu, die ihn verwirrt, dann setzt sie sich in den Sessel wie eine Glucke aufs Nest. Ich sagte eben, dass ich nicht weiß,was manche gealterten Schriftsteller dazu treibt, sich von den jungen verführen zu lassen, und zwar immer in der Überzeugung, sie hätten eine Art Diamanten gefunden. Wohl vor allem, weil sie geliebt werden wollen, nicht von irgendwem, nicht irgendwie, sie brauchen eine Hand, die sich ihnen entgegenstreckt, sie in die Zukunft führt, verstehst du? Wie großzügig auch immer sie sind, wie vielen Risiken sie auch immer sich aussetzen, du weißt ja, die Jugend ist undankbar und roh – sicher fühlt er sich angesprochen, möglicherweise gefällt ihm das –, denn die Jugend ist kraftvoll, sie geht ihren Weg, der Vorteil für die Alten ist größer, die Anwesenheit der Jüngeren macht sie schön und intelligent, sie verleiht ihnen Leichtsinn und lässt sie wieder jung sein. Du weißt gar nicht, wie gut ich jetzt erst den Pakt Fausts mit dem Teufel verstehe, und das tragische Schwanken des Königs in Der König stirbt – zwischen der alten Königin, die ihn der Welt entrissen hat, um ihn mit
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