Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
heimlicher Wunsch, euch zu verstehen, ich lecke mir nach eurer Literatur die Finger, auch wenn ich nicht mit Fernbedienung, Anrufbeantworter, Pager und Internet aufgewachsen bin. Ich weiß nicht, ob du die jungen rumäniendeutschen Dichter kennst; na ja, sie schrieben eine Lyrik, mit der sie die rumänische Achtziger-Generation weit übertrafen. Sie haben den Begriff Text in unsere Literatur eingeführt. Sie waren verrückt nach Biermann, Ginsberg, Frank O’Hara und überhaupt den Jungen Wilden. Ich sehe Bossert noch vor mir, rund, mit Bäuchlein und karottenrotem Haar. Er war ein Schandmaul, seine Texte waren scharfzüngig, denunzierend und doch voller Poesie, sie hatten etwas Fremdartiges. Mir schien er Paul Celan ähnlich zu sein, seltsam, sie starben den gleichen Tod. Der grüne Blick spitzt die Ohren, drängt mich weiterzusprechen; verdammt, ich werde darüber hinwegsehen, werde ihn hinhalten, seine Neugier herausfordern. Söllner war hochgewachsen,schlank, schön, zeigte eine gewisse Eleganz in seinen Gesten, und seine Züge – so sah ich ihn jedenfalls – erinnerten an Shakespeare. Hodjak lernte ich in Cluj in der Editura Dacia kennen, er hatte die Allüren eines gesetzten Mannes mit Verantwortung, hatte etwas von einem ordentlichen und korrekten Deutschen. Seine Lyrik schien mir immer etwas ernster. Ich weiß, es gab auch einen gewissen Ortinau, ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen. So, wie er schrieb, war er verrückter als die anderen, ich fand, er war genial … in ihn hätte ich mich, glaube ich, verlieben können. Wir trafen uns ziemlich häufig in Gerhardt Csejkas Wohnung, zu dem sie alle emporblickten wie zu einem Orchesterdirigenten. Er besaß eine alles infrage stellende Intelligenz und einen außergewöhnlich kritischen Geist. Ich hatte mir nie vorstellen können, dass ein so beweglicher Verstand System haben könnte. Er war ein wunderbarer Freund. Manchmal denke ich an die Nächte zurück, die ich mit ihm und seiner Frau Pipi verbrachte, mit der ich mich ebenfalls befreundet hatte. Sie las sehr viel. Sie verschlang die zeitgenössische Literatur geradezu, und manchmal war ihr Urteil sogar feinsinniger als seins. Nun, bei ihnen fanden konspirative Versammlungen statt, so schien es uns wenigstens damals. Gerhardt hatte sich mit dem Botschafter der BRD angefreundet, der sie manchmal besuchte. Wir waren alle davon überzeugt, dass man sein Telefon verwanzt hatte, darum steckte es auch immer unter einem Kissen, man konnte fast glauben, es sei ein Samowar. Terry und ich verpassten uns immer. Wenn ich zu ihnen kam, ging sie nicht hin, und umgekehrt. Ich litt, wir wussten nichts mehr voneinander, nur das, was allen bekannt war, mir fehlten ihre Geschichten. Solangesie bei der Neuen Literatur arbeitete, unterstützte sie die deutschen Schriftsteller nach besten Kräften. Sie veröffentlichte sie beinahe in jeder Nummer und schrieb selbst die ersten Kritiken zu Söllners und Bosserts Debütbänden. Anfangs waren Söllner und Bossert unzertrennlich, als ich sie zum ersten Mal zusammen sah, wusste ich nicht, wem ich sie zuordnen sollte, Dick und Doof oder Don Quijote und Sancho Pansa. Wenn einem der jungen Schriftsteller etwas zustieß, ganz gleich ob Deutscher oder Rumäne, wenn man ihn für einen Dissidenten hielt und ihm das Publikationsrecht entzog, dann beeilte sich Terry jedes Mal, heimlich Unterschriften zu sammeln und ihn finanziell zu unterstützen. Ich bewunderte sie aus ganzem Herzen, und dennoch sagte mir irgendetwas, dass sie diese Dinge nicht ganz selbstlos tat.
Warum unterstützen einige Schriftsteller meiner Generation wohl die jüngeren Kollegen und empfinden es auch noch als schmeichelhaft, sich mit ihnen zur Schau zu stellen – aus einer inneren Jugendlichkeit heraus, aus Großzügigkeit oder eigenen Interessen? Ich erinnere mich an M.R.P., er war so glücklich gewesen, dass er sich mit uns armseligen Debütanten duzte. Er hatte uns gebeten, ja fast gebettelt, wir sollten ihn beim Vornamen nennen. Und innerhalb kürzester Zeit waren wir ihm auf der Nase herumgetanzt und hatten jeden Respekt verloren; wir hatten ihn nun eher wie einen Spielgefährten oder Trinkgenossen geliebt, und wenn wir unter uns gewesen waren, hatten wir kein Blatt mehr vor den Mund genommen, ihm sein Talent abgesprochen und uns seine Geliebten aufgezählt. Als er gestorben war und in Vălenii de Munte, in seinem über all die Jahre so gastfreundlichen Haus, aufgebahrtdalag, hatten wir, seine jungen und alten
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