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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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und mit einem Korsett eng um den Körper geschnürt war. Auf dem Kopf trug ich ein Blumenkrönchen in der gleichen Farbe. Auf der Liste der Kinder, die am Wettbewerb teilnahmen, bei dem es eine große Schokoladentorte zu gewinnen gab, war ich unter dem Namen Prinzessin Miozotis eingetragen. Ich tanzte damals auf der improvisierten Bühne zum Lieblingslied meines Vaters, Schöner Rosmarin . Wie ein kleines Äffchen versuchte ich meine Mutter nachzuahmen. Natürlich hatte ich Erfolg, ichgewann die Torte, die ich mit ein paar anderen Kindern teilte, und ein etwas größerer, etwa zehnjähriger Junge, der als Indianer ging, forderte mich zum Tanz auf. Du kannst dir sicher denken, dass darin für mich der eigentliche Preis bestand. Ich glaube, du hast bald genug von dem Zuckerzeug meiner Kindheit. Ich weiß gar nicht, was du von mir noch nicht hast schlucken müssen, vielleicht meine Säuglingsphase. Lass uns reingehen, es ist kühl geworden, es ist eben Herbst, da ist nichts zu machen. Der grüne Blick wird wieder warm, wie eine Ofenplatte. Ich kann mir nicht erklären, was ihn so angeheizt hat. Es gibt eine Art Strom und Gegenstrom, der seine Farbe ändert wie das Meer, aber ich kann nur schwer erraten, auf welches meiner Zeichen er dort drinnen antwortet. Er hilft ihr, von der Truhe aufzustehen, die niedriger ist als ein gewöhnlicher Stuhl. Seine Hand zittert leicht, Anna hat den Eindruck, unter der Haut das Vibrieren eines durchgebrannten Glühfädchens zu spüren. Ich beginne schon wieder, stur an den Weihnachtsmann zu glauben, ich fabriziere schon wieder Literatur. Sie schließt die Balkontür, zieht die Vorhänge zu und tritt zum Lichtschalter, um die Lampe anzuknipsen. Im Licht der Glühbirne scheinen sich die Dinge im Zimmer unvermittelt zu erwärmen, sie werden vertrauter. Anna fühlt so etwas wie Angst, gemischt mit Verlangen, wie jedes Mal, wenn sie sich abends mit einem Mann allein im Zimmer befindet. Es ist, als sehe man die ersten Luftblasen im siedenden Wasser aufsteigen, und man zögert es hinaus, schiebt es auf, tut gleichgültig … und sie dort mit ihm, bei Regen hinterm nassen Gebüsch im Garten des Schriftstellerverbands, zerkratzt, gevögelt, verspottet – glücklich … Ich glaube, es wird Zeit, dass ich etwas auf den Tisch bringe.Wie ich sehe, haben wir noch genug Bier, aber außer ein bisschen Käse und Äpfeln ist nichts da, was ich dir anbieten könnte. Das ist meine Lieblingsspeise, besonders abends. Ich würde auch noch einen Kaffee machen, aber es ist zu spät, ich fürchte, wir können dann nicht mehr schlafen; dieses schlafen, im Plural ausgesprochen, erregt sie. Anna geht in die Küche. Dracula rennt ihr voraus. Dann reibt sie sich an ihren Beinen, sieht ihr in die Augen und miaut. Auch er hat manchmal so einen Blick. Sie nimmt den Käse aus dem Schrank, den sie nicht im Kühlschrank aufbewahrt, damit er nicht hart wird, und schneidet ihn in dünne Scheiben, die sie so ästhetisch wie möglich auf zwei Tellerchen legt, nun noch zwei Golden Delicious dazu, sie sind genauso gelb wie die Küchentapete. Sie muss lachen. Sogar hier will ich, dass alles zusammenpasst. Sie nimmt die beiden Silbermesser aus der Schublade, die sie von der Großmutter geerbt hat und die nur sie und Nino benutzt haben, graziös legt sie sie auf den Tellerrand. Dann tritt sie ins Zimmer, hält in jeder Hand einen Teller, fast wie ein Jongleur. Die Messer klappern immer lauter und verraten ihr Zittern. Je mehr sich ihre Hände dem Tisch nähern, desto stärker zittern sie. Am liebsten würde sie sterben vor Scham, dass man ihr das Alter anmerkt; wenn jemand sie jetzt fragen würde, was sie sich am meisten im Leben wünsche, sie würde ohne zu zögern antworten, jemand soll mir die letzten zwanzig Jahre wieder abnehmen, ja, aber dann wärst du nicht mehr so frei. Macht nichts, ich hatte nie Angst davor, zu tun, was ich will. Terry hatte recht, als sie sagte, dass ein Mensch, der sich freizügig alles erlaube, sie nicht interessiere. Vielleicht haben wir uns auch deshalb getrennt. Beide essen sie schweigend, er schneidetalles mit dem Messer, will Eindruck machen. Sorgfältig achtet er auf gute Manieren. Sie nimmt den Käse mit den Fingern und beißt direkt in den Apfel. Sie isst ihr Abendbrot aus Gewohnheit so, sonst gibt es ja niemanden, der sie sehen könnte. Sie denkt immer noch an das, was Terry gesagt hatte, vielleicht machen die Menschen einen Bogen um den, der alles im Leben auf die leichte Schulter nimmt.

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