Die Seele des Ozeans (German Edition)
Weil ich dich nicht begreife?“
Kjell gab ein leises, verblüfftes Lachen von sich. „Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht damit.“
„Meine Mutter war immer der Meinung, ich sei zu leichtgläubig und hinterfrage zu wenig. Aber das stimmt nicht. Ich hinterfrage so ziemlich alles, mit dem Unterschied, dass ich nichts für unmöglich halte. Klar, deine Existenz könnte mich in eine tiefe Glaubenskrise stürzen, aber ich habe keine Zeit für eine Krise. Hast du eigentlich Kiemen?“
Sein Lächeln war von entzückender Scheu. „Über den Rippen, links und rechts.“
„Wow. Kann ich sie sehen?“
„Jetzt gerade? Nein. Sie bilden sich nur im Wasser aus. Würde ich sie mir jetzt wachsen lassen, könnte ich nicht atmen. Genauso wenig wie ein Fisch.“
„Irre. Tut es weh, sich zu verwandeln?“
„Nicht wirklich. Am Anfang hat es wehgetan, aber inzwischen ist es sogar angenehm.“
„Diese Seele, von der du erzählt hast, wo ist sie?“
„Dort, wohin kein Mensch gelangen kann. Alle, die es absichtlich oder unabsichtlich dahin verschlägt, müssen sterben. Das Meer über der Seele ist ein Grab für jedes Schiff.“
Fae stutzte. „Moment mal, meinst du das Bermuda-Dreieck?“
„Ich glaube, so nennt ihr es.“
„Oh Mann.“ Ohne es zu bemerken, hatte sie sich immer weiter vorgebeugt. Kaum mehr eine Handbreit trennte sie von Kjells Gesicht. Sie spürte, wie sein Atem über ihre Wange strich – Luft, die er nur hier an Land atmete, während draußen im Meer Salzwasser durch seinen Körper strömte. Inzwischen hatte das Kitzeln und Prickeln ihren gesamten Körper ausgefüllt und machte es unmöglich, stillzuhalten. Zitternd rutschte sie auf dem Boden hin und her und wusste kaum, wo sie ihre Hände lassen sollte.
„Aber was ist es?“, überlegte sie laut. „Wenn es eine Kraft ist, müsste man sie messen können. Man müsste Anomalien finden, ungewöhnliche Werte, irgendwas.“
Kjells Blick wurde skeptisch.
„Ich glaube, es ist ein Portal“, mutmaßte sie weiter. „Diese Theorie gefällt mir am besten. Oh, wenn ich es nur einmal sehen könnte.“
Wieder legte er den Kopf schief. Im Dämmerlicht des Zimmers umgab ihn etwas so Entrücktes und Wundersames, dass sie seine Wirklichkeit kaum begreifen konnte. Bei jedem Zwinkern erwartete sie, seine Gestalt würde verschwimmen und verblassen wie die einer Traumgestalt.
Wieder lag die drängendste Frage auf ihrer Zunge, aber diesmal fürchtete sie sich nicht vor der Antwort. Sie sehnte sich danach, ein Ja zu hören, sehnte sich so sehr danach, dass ihre Augen brannten und ihre Kehle sich zuzog.
Bist du gekommen, um mich abzuholen?
„Ich glaube, du hast recht“, überlegte er. „Ich dachte am Anfang, diese Kraft würde die Wesen erschaffen, aber inzwischen glaube ich, dass sie aus einer anderen Welt in unsere herüberkommen. Freiwillig oder unfreiwillig. Das erste Geschöpf, das aus dem Licht kam, war ein weißer Narwal. Er ist uralt. So alt, dass er vergessen hat, wo er herkam.“
„Woher weißt du, dass er aus dem Licht kam?“
„Er trägt die Energie der Seele in sich. Man spürt es und man sieht es. Er besitzt dasselbe Licht wie die Seele. Dasselbe Licht wie ich.“
Fae konnte nur nicken. Mit jedem verstreichenden Augenblick wurde alles, was sie fühlte und was sie umgab, immer unwirklicher.
Daher also Kjells ätherisches Schimmern, das in Menschengestalt schwächer, aber immer noch gespenstisch war. Es lag in seinen Augen und in dem silbernen Haar, hüllte seine Gestalt in ein Lichtfeld und schien selbst in seiner Stimme zu leuchten.
„Gab es schon einmal einen Menschen wie dich?“, fragte sie wie im Schlaf. „Jemanden, der dir nahe ist? Der so ist wie du?“
„Ich weiß nur von wenigen Tieren, die lange vor meiner Zeit verwandelt wurden, und von denen ist als einziger der Narwal übrig geblieben. Wo die anderen Wesen sind, weiß ich nicht. Vielleicht tot, vielleicht in die Welt jenseits des Tores zurückgekehrt. Ich bin allein. In jedem Sinne.“
„Du bist nicht allein. Jetzt nicht mehr.“
Aber in seinen Augen lag die Antwort auf ihre verklärten Worte, die sie ausgesprochen hatte, ohne darüber nachzudenken: Doch, das bin ich. Denn du wirst bald sterben.
„Um noch einmal auf die Wesen zurückzukommen“, lenkte Fae ab. „Sie scheinen darauf programmiert zu sein, Geschöpfe aufzustöbern, sie in eine Art Kokon einzuspinnen und zu verwandeln. Richtig?“
„Ich nehme es an.“
„Und du sagtest, dass die meisten, die aus
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