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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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erlegen.
    Sie zuckte zurück und erstarrte.
    Verstecken! Verschwinden!
    Nein, warum? Sie ist schwach, ich bin stark.
    Ihr zierlicher Körper, ganz in Schwarz gekleidet und von Unmengen Silberschmuck verziert, begann zu zittern. Weit und breit waren keine anderen Menschen zu sehen, doch hinter einer Reihe Felsen zu seiner Rechten sah er das Flackern eines Feuers.
    Lange sahen sie einander an. Kjell spürte ihr wunderschönes Seelenlicht, und plötzlich kehrte sie zurück. Diese wilde, tobende Gier. Leere klaffte in ihm auf, zu füllen nur durch die Wärme, die dem Mädchen entströmte.
    Er wollte sie!
    Heiße Gefühle, warmes Fleisch.
    Die Nahrung, die für ihn bestimmt war.
    Kjell grollte vor Hunger, wollte gerade nach ihrem Fuß greifen, um sie ins Wasser zu ziehen, als sein Blick auf das zarte Armband fiel, das das Handgelenk des Mädchens schmückte. Schwarze Perlen waren auf silbernen Fäden aufgezogen und schimmerten im Mondlicht. Er wollte es an Fae sehen, wollte das Glänzen auf ihrer Haut bewundern und die Freude in ihren Augen sehen, wenn er es ihr um das Handgelenk legte.
    Die Gier zog sich zurück. Nur noch ein Brennen war zu spüren, dort, wo sie ihre Krallen durch sein Gehirn gezogen hatte.
    „Kann ich das haben?“ Er deutete auf das Armband. „Bitte?“
    Das Mädchen starrte ihn aus Augen an, die größer und größer wurden. Schwankend vor Benommenheit, den Blick glasig, öffnete sie den Verschluss des Schmuckstücks, wickelte es von ihrem Gelenk und ließ es in seine geöffnete Hand fallen.
    „Danke.“ Der Hunger war verschwunden, aufgelöst wie Nebel in der Hitze eines Sommertages. Aber Kjell spürte, dass diese Abwesenheit tückisch war. Nichts weiter als ein Verrat an sich selbst. Er lächelte zu dem Mädchen auf, traf seine Entscheidung und schwamm in die offene See hinaus.
~ Fae ~
    „Ich fasse es nicht“, grollte Alexander. „Kaum weilst du wieder unter den Lebenden, darf ich dich aus Belfast abholen, weil du zu besoffen zum Autofahren bist.“
    „Komm schon“, kam ihr Ukulele zu Hilfe. „Wie oft habe ich dich irgendwo aufgesammelt, weil du dir die Birne bis zum Anschlag zugeknallt hast? Außerdem war Fae nur beschwipst, nicht betrunken.“
    „Mag sein. Aber du musstest damals nicht mitten in der Nacht siebzig Kilometer fahren. Warte nur, dieser Sardine werde ich was erzählen! Einfach meine Schwester allein zu lassen. Ihr hätte sonstwas in der Stadt passieren können.“
    „Du solltest lieber Fae was erzählen, weil sie unseren Freund abgefüllt hat. Es ist bei Menschen schon bedenklich, aber bei ihm hätte es eine Katastrophe lostreten können.“
    Fae legte die Hände vor ihr Gesicht. Sie wollte nichts hören und nichts sehen, aber sie schaffte es nicht, in ihr Zimmer hinaufzugehen.
    Weil sie dann allein war.
    „Geht es dir nicht gut?“ Durch ihre Finger sah sie, wie Alexander sich im Sessel vorbeugte und den Kopf schieflegte. „Was ist los?“
    „Kopfschmerzen“, knurrte sie.
    „Das glaube ich gerne. Aber ich kenne dich. Da ist noch mehr. Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?“
    „Gar keine. Lasst mich in Ruhe.“
    Sie griff nach dem Buch, das auf dem Sofatisch lag, und schlug es auf. Zwei bunte und zwei schwarzweiße Bilder von Meerjungfrauen prangten ihr dort entgegen, wo jemand ein Lesezeichen hineingelegt hatte. Eine Nixe, die zwischen Totenschädeln ihr langes Haar kämmte und geheimnisvoll lächelte. Verführerische Geschöpfe, die mit zierlichen Fingern nach einem ahnungslosen Menschen griffen, um ihn zu sich ins Wasser zu ziehen. Eine Meerjungfrau, deren untere Körperhälfte einem Kraken glich, die in schillernder blauer Tiefe trieb und auf ein Schiff wartete, das im Begriff war, in einem Sturm zu versinken.
    Und ein viertes Meereswesen, das sich liebevoll über einen jungen Mann beugte, der tot am Strand lag. Zerborstene Planken und zerfetzte Segel lagen neben ihm, und etwas in dem lieblichen Gesicht der Nixe ließ Fae vermuten, sie sei Schuld an dem Unglück des Seemannes.
    Ihre Kopfschmerzen steigerten sich zu einem quälenden Pochen, das unangenehm an den Tumor erinnerte. Alexander und Ukulele starrten sie an.
    „Was ist passiert“, fragte ihr Bruder. „Raus mit der Sprache.“
    „Nichts.“ Fae legte das Buch beiseite, während die Erinnerung an die eisige Gier in Kjells Blick und diese abgrundtiefe, unberechenbare Fremdartigkeit an ihr nagten und heißkalte Schauer über ihre Wirbelsäule rieseln ließen.
    In diesem Augenblick ertönte die

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