Die Seele des Ozeans
gegangen bist? Wie hat sich die Verwandlung angefühlt?“
„In das Licht gegangen“, murmelte Fae. „Kann jemand Lisa Gerrard auflegen? Ich gehe in kein Licht ohne Lisa Gerrard.“
„Stimmt doch“, erwiderte Ukulele. „Er ist ins Licht gegangen.“
„In einen Schwarm leuchtender, kleiner Tiere“, berichtigte Kjell. „Eure Frage kann ich leider nicht beantworten. Ich weiß nichts mehr. Meine letzte Erinnerung ist die glühende Wolke im Wasser.“
„Wo fängt deine Erinnerung wieder an?“, wollte Alexander wissen.
Kjell stieß ein leises Geräusch aus. Möglicherweise war es ein Lachen, oder etwas ganz anderes. „Ich erwachte am nächsten Morgen auf einer Felseninsel. In einem riesigen Haufen aus Tang und Seehundkot. Es regnete und stank zum Himmel.“
„Meine Vorstellung sah ein bisschen anders aus“, nuschelte Fae in das Plaid. „Eine Sandbank zum Beispiel. Bei Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang.“
„Wie sahst du aus?“, fragte Ukulele. „Warst du noch ein Mensch?“
Kjell nickte. Erst jetzt nahm er einen Schluck von dem Kakao, erstarrte und begann leise zu schmatzen. Wieder sah er aus wie ein Kind, das zum ersten Mal in seinem Leben Schokolade kostete. Seine Augen wurden größer und größer, während sie vor Entzückung zu leuchten begannen. Gestern in dem Café hatte Fae geglaubt, nie ein hingerisseneres Gesicht gesehen zu haben, doch jetzt musste sie diese Tatsache revidieren. Eine Weile sagte er nichts, trank seinen Kakao und gab immer wieder leise Seufzer von sich.
„Das war …“ Er stellte den leeren Becher zurück auf den Tisch. „Das war …“, er leckte sich die Lippen, „das Beste, was ich je gegessen habe. Es ist sogar besser als der Gewürztee. Und besser als Apfelkuchen.“
„Das Beste, was du je getrunken hast“, korrigierte Alexander. „Freut mich. Ich mache ihn selbst, nach einem Geheimrezept meiner Mutter mit flüssiger Sahne und Gewürzen und einer kleinen Prise Salz. Dieses zuckersüße Kunstzeug aus der Dose kommt mir nicht ins Haus.“
Fae überließ sich einem spontanen Impuls, fing Kjells Gesicht ein und leckte mit der Zungenspitze die Sahne von seiner Oberlippe. Salzige Frische vermischte sich mit süßem Kakao und exotischen Gewürzen, die sie an den verhängnisvollen Tee erinnerten. Dieser Kuss schmeckte zu gut. Sie vergaß Alexanders und Ukuleles Anwesenheit ebenso wie ihre Zweifel. Und als sie schwindelnd in die Kissen sank und seinem Geschmack nachforschte, schmerzte ihr gesamter Körper vor Verlangen. Die Furcht vor dem, was in Kjell ruhte, ließ dieses Feuer nur stärker brennen. Sie wollte ihn. Das sanfte, scheue Wesen ebenso sehr wie das unberechenbare Tier. Die selige Leichtigkeit und den Sturz in den Abgrund.
Er war ein Geheimnis, und sie würde es ergründen. Bis hinein in die dunkelsten Abgründe.
„Bekomme ich noch einen?“, bat Kjell.
„Klar doch.“ Alexander füllte den Becher mit Kakao und Sahne auf. „Dann erzähl mal weiter. Du bist also auf einer vollgeschissenen Felseninsel aufgewacht. Was passierte dann?“
Kjell nahm einen Schluck vom Kakao und lehnte sich zurück. Als er begann, von seiner Verwandlung zu erzählen, tauchte Fae in seinen Körper ein, in seine Gefühle und Sinne.
„Zuerst dachte ich, es wäre eine Krankheit. Als ich in meinem Zimmer eingesperrt war, habe ich viel über alle möglichen Krankheiten gelesen. Mein Vater gab mir gern solches Zeug, um zu beweisen, dass es draußen in der Welt nichts Gutes gibt. Aber ich konnte mich an keine Krankheit erinnern, die Schuppen, Gedächtnisverlust und Kiemen als Symptome hatte. Noch dazu fühlte sich die erste Verwandlung an, als würden sämtliche Knochen in meinem Körper brechen und sich neu zusammenfügen.“
„Vermutlich ist genau das passiert“, warf Alexander ein.
„Blitzevolution“, hauchte Ukulele. „Ich wusste, dass es möglich ist. Erzähl weiter, Kjell.“
„Als mir die Kiemen wuchsen“, fuhr er fort, „fühlte es sich an, als hätte mir jemand mit einem Messer zwischen die Rippen geschnitten. Ich weiß noch, dass ich ins Wasser fiel und ohnmächtig wurde. Als ich wieder zu mir kam, war ich zurück auf der Felseninsel. Meine Beine taten weh, aber statt Beinen sah ich, dass da nur ein hässlicher, zusammengewachsener Klumpen war. Er verformte sich, während ich hörte und spürte, wie die Knochen brachen.
Viel weiß ich nicht mehr, weil ich wieder das Bewusstsein verlor, aber als ich zum zweiten Mal aufwachte, war alles so, wie ihr es
Weitere Kostenlose Bücher