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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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auf?
    Meine Augen waren nicht schwarz. Es sah nur so aus. Es war dunkel im Zimmer, und der Einfallswinkel des Lichts … ach verflucht!
    Kjell stapfte durch den Sand der Dünen, atmete die salzige Luft und versuchte, seinen Geist mit dem Anblick des schwindenden Sternenhimmels zu beruhigen. Doch was Tausende Male zuvor funktioniert hatte, wenn er frustriert von seinen Reisen hierher zurückgekehrt war, entpuppte sich nun als sinnlose Farce.
    Das Buch machte ihn nicht nur wütend. Es war nicht einfach nur traurig und ungerecht. Kjell spürte einen kalten Klumpen in seinen Eingeweiden wie eine nagende Krankheit. Er fühlte sich, als wäre er selbst gestorben, und als wäre er es gewesen, der vergeblich gekämpft hatte.
    Komm wieder runter. In ein paar Tagen tust du wieder, was du tun musst. Weil es deine Bestimmung ist.
    Und eine boshafte Stimme antwortete: Oh ja, es ist deine Bestimmung, einen aussichtslosen Kampf zu bestreiten. Ist die Welt, seit du dich für sie einsetzt, auch nur einen Tick besser geworden? Nein, nur noch gieriger.
    Kjell stopfte seine Hände in die Hosentaschen. Er fühlte sich wie sein Namensvetter im Buch, in dessen Kopf zwei Stimmen um die Vorherrschaft gekämpft hatten. Das Menschliche und das Nichtmenschliche.
    Gehen oder bleiben.
    Im Osten schimmerte ein Hauch von Dämmerung, noch zu schwach, um das Meer aus Sternen verlöschen zu lassen. Als Kjell vor sich eine Gestalt am Strand entdeckte, glaubte er zunächst an einen einsamen Wanderer, doch dann sah er, dass dieser vermeintliche Wanderer ein weißes Nachthemd trug und ebenso helle Haare besaß, die offen im Wind wehten. Es war Fae. Ihre Füße waren nackt, ihre Haut völlig farblos.
    „Mum!“ Kjell rannte auf sie zu. Als er sie packte und in ihr Gesicht blickte, zuckte er erschrocken zurück. Sie war blass wie eine Leiche. Dunkle Schatten lagen um ihre Augen, ihre Lippen waren blau vor Kälte. Das Gespenstischste aber war ihr Blick. Sie sah ihn an, ohne ihn wahrzunehmen.
    „Mum! Was soll das? Du holst dir den Tod!“
    Großer Gott, ihre Haut war kalt wie Eis! Er wollte sie zurückziehen, hin zum Haus, aber Fae stemmte sich mit verblüffender Kraft dagegen.
    „Lass mich los!“, forderte sie mit fester Stimme.
    „Warum tust du das? Du musst ins Warme. Komm schon, du bist ja schon ganz steif.“
    „Ich sagte“, plötzlich kehrte das Leben in ihren leeren Blick zurück, „lass mich los!“
    Kjell zuckte zurück, als hätte ihn eine Peitsche getroffen. Ihm wurde schwindelig vor Schreck. Und dann sah er das Schimmern an ihrem Handgelenk. Es war ein Armband, bestehend aus zarten Schnüren, auf denen schwarze Perlen aufgezogen waren.
    „Aber das ist doch …“
    „Ja.“ Fae strich mit ihren Fingern zärtlich über das Schmuckstück. Ihre Gelenke waren so dünn geworden, dass die Perlenschnüre locker herunterhingen. „Das Geschenk, das dein Vater mir mitgebracht hat. Ich habe es all die Jahre in einem Kästchen aufbewahrt, weil ich Angst hatte, dass es kaputtgehen könnte. Es ist wunderschön, aber nicht besonders stabil.“
    „Das ist unmöglich. Es gibt keine Wesen wie ihn.“
    „Das stimmt. Es gibt sie nicht mehr, denn er war das einzige Geschöpf seiner Art.“ Sie sah ihn wieder an. Ihre Augen waren plötzlich die einer jungen Frau. So lebendig und strahlend. „Alle haben das Buch für ein Märchen gehalten, aber du kennst die Wahrheit.“
    Kjell wusste nicht, was er sagen sollte. Ihm war klar, warum sie hier war, nur mit diesem Nachthemd bekleidet, halb tot gefroren und wild entschlossen.
    „Mum“, flüsterte er matt. „Tu das nicht. Komm wieder zurück.“
    Fae wandte sich dem Meer zu und hob einen Arm, als wolle sie auf etwas deuten. Sie bewegte sich langsam wie in einem zähen Albtraum, und als sie leise seufzte, war ihr Lächeln so entrückt, als wäre ihre Seele bereits im Elysium.
    „Da vorne“, wisperte sie. „Genau vor uns. Kannst du ihn sehen?“
    Kjell folgte ihrem Fingerzeig. Nichts war zu sehen. Nur die gewellte Fläche des Meeres, in dem sich der erste Hauch des Morgens spiegelte.
    „Da ist nichts, Mum.“
    Sie wandte sich zu ihm um und neigte verwirrt den Kopf. „Aber er ist da. Ganz nah. Ich kann ihn sehen, warum du nicht?“ Ihr Blick wanderte ein paar Mal zwischen dem Meer und seinem Gesicht hin und her. Dann schien sie eine Erkenntnis zu durchzucken. „Oh, ich verstehe. Ich verstehe.“
    „Was verstehst du?“
    „Schon gut, mein Junge. Es reicht, wenn ich ihn sehe. Hast du das Buch

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