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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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verzierte Planet, auf dem viel zu viele Dinge unabänderlich waren. Idiotisch zu denken, dass es irgendwo anders war.
    Fae empfand eine solche Sehnsucht, dass sie glaubte, verrückt zu werden. Aber wonach? Der unwiderstehlichen Lust auf Kakao folgte die noch unwiderstehlichere Lust auf Kaffee, also schlich sie noch einmal hinunter in die Küche, wo immer eine volle Thermoskanne mit Alexanders zweitliebstem Getränk stand, füllte eine Tasse damit und goss einen guten Schuss Kokossirup hinzu.
    Weder Ukulele noch Henry schauten vorbei, während sie herumhantierte. Auf die Beklommenheit der beiden war Verlass. Aber sie hörte sie im Wohnzimmer leise miteinander reden. Vermutlich war ihre Krankheit das Hauptthema. Ihr langsames Sterben, der deprimierende Lauf der Dinge, die allgemeine Frustration und Hilflosigkeit.
    Zurück in ihrem Dachzimmer fühlte sich Fae elender denn je.
    „Ozean der Stürme.“ Sie wischte mit dem Handrücken über ihre nassen Wangen und schniefte. „See der Zeit. Zu schade, dass man nicht darin schwimmen kann.“
    Fae ließ ihr Leben wie unzählige Male in den letzten Wochen Revue passieren und kam erneut zu demselben Ergebnis: Es war viel zu kurz gewesen.
    Sie starrte ihre Kaffeetasse an und widerstand dem impulsiven Drang, das Ding an der Wand zu zerschmettern. Dieses winzige Dachzimmer war jener Ort, nach dem sie so lange gesucht hatte. Es vermittelte ihr das Gefühl, die verrinnende Zeit könne sie hier oben nicht erreichen, aber zugleich wusste sie, dass es eine Lüge war. Wieder blickte Fae durch das Teleskop und richtete es auf die Plejaden aus. Freundlich funkelten ihr die Sieben Schwestern entgegen, so unendlich weit entfernt, dass es das menschliche Begreifen sprengte. Wollte sie dorthin reisen, wäre sie Millionen von Jahren unterwegs. Eine Ewigkeit im schwarzen, stillen All. Ohne Tag und Nacht. Ohne Zeit.
    Fae kickte mit dem Fuß ein leeres Glas weg, das ihr im Weg war. Alexander verabscheute das Zimmer für seine Unordnung, aber er machte ihr nie Vorwürfe. Wie hätte er es auch übers Herz bringen können?
    Decken und Kissen lagen herum. Dazu gesellten sich Bücher, Zeitschriften und Mondkarten, Chipstüten, getrocknete Datteln, Kaubonbons und Katzenhaare. Rembrandt, ihr weißer Perserkater, tat das, was er inzwischen dreiundzwanzig Stunden am Tag tat: Er lag zusammengerollt auf einem der rotgoldenen Kissen und schlief. Liebevoll glitt ihr Blick über sein stumpf gewordenes, struppiges Fell. Ganz gleich, wer sich zuerst aus dieser Welt verabschiedete, lange würden sie nicht ohne einander sein müssen. Hoffentlich gab es ein Elysium, in dem sich Seelen, die zueinandergehörten, wiedersahen. Anderenfalls hatte das alles hier keinen Sinn.
    Inzwischen war es weit nach Mitternacht. Sie hätte lieber noch ein wenig schreiben sollen, aber die Inspiration blieb aus. Stattdessen erfüllte eine höhnische Leere ihren Kopf. Ein frustrierender Umstand, denn noch war ihre Aufgabe nicht erfüllt.
    Fußstapfen mussten in der Ewigkeit hinterlassen werden. Eine Geschichte musste geschrieben werden, die die Menschen berührte. Eine besondere Geschichte, eine magische Geschichte.
    Fae stand auf und blickte aus dem bodentiefen Fenster. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Höchst wahrscheinlich würde sie sterben, ehe die geniale Idee kam. Wellen schäumten an den Strand und entfachten wieder diese Sehnsucht in ihr.
    Das Meer war voller Geschichten. Sie musste nur die eine herausfischen, die für sie bestimmt war. Selkies, Shellycoats, Wassermänner und Meerjungfrauen. Kobolde, Elfen und Sidhe.
    Deswegen war sie hier. Um der Geschichten willen. Um des Lebens und des Todes wegen und für die verblassten Geister der Vergangenheit. Mit jeder Faser ihres Körpers spürte sie die Anwesenheit von etwas Fantastischem, etwas unbeschreiblich Großartigem, das nur auf sie wartete. Vielleicht geriet ihr Gehirn auch nur völlig aus den Fugen. Gut möglich, dass sie sich längst in einer Art Delirium befand, in dem sie keinem Sinneseindruck mehr trauen konnte. Seit einigen Wochen gaukelte ihr der Tumor Farben und Gerüche vor, die nicht existierten. Der Arzt hatte es ihr während des letzten Klinikaufenthaltes erklärt, doch die Fachausdrücke waren ihr entfallen. Grob umrissen verlor ihr Gehirn die Fähigkeit, Eindrücke sinnvoll zu verarbeiten. Geordnete Bahnen verloren sich nach und nach in einem heillosen Chaos.
    Endstadium, wie es so schön hieß.
    Müdigkeit kribbelte in ihren Gliedern, doch sie wollte nicht

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