Die Seele heilen
zahlen können. Und obwohl mein Mann mir zu verstehen gab, wie peinlich das Ganze war, konnte ich nicht damit aufhören. Er versuchte, mich zu beruhigen, doch ich musste immer wieder davon anfangen und wurde immer lauter dabei. Und das war erst der Anfang. Zunächst gab es noch einige »normale« Stunden am Tag, in denen ich in der Lage war, meine Alltagspflichten zu erledigen. Aber bald kam der Tag, als ich wirklich nur noch das eine denken und aussprechen konnte: »Wir schaffen es nicht und ich bin schuld.« Arbeiten, vernünftig essen, schlafen oder ausruhen waren nicht mehr möglich. Die »bösartige Traurigkeit« hatte mich endgültig im Griff und die große schwarze Decke der Depression breitete sich über mein Leben.
Argumente
Natürlich versuchten mein Mann, unser Bankberater und einige Freunde, mir zu erklären, wie unwahrscheinlich es war, dass die Finanzierung nicht klappte, denn bisher hatte mein Mann sich ja stets als verantwortungsbewusster Mensch erwiesen, der unsere Geldangelegenheiten zuverlässig managte. Ich hörte diese Botschaft wohl, allein mir fehlte der Glaube. Es war, als hätte sich meine Rationalität zurückgezogen und die große Finsternis ihre Stelle eingenommen. Freunde versuchten, mir rational zu erklären, dass ich doch auf sehr hohem Niveau jammere. Selbst wenn wir dieses neue Haus nicht bezahlen könnten, sei das doch kein Weltuntergang. Das alles half nichts.
Typisch Depression
Eigentlich hätte ich zumindest theoretisch wissen müssen, wie man eine Depression vermeidet. Vor einiger Zeit hatte ich eine psychologische Zusatzausbildung in Logotherapie absolviert und ein Spezialgebiet dieser Therapieform ist die Behandlung jener Depressionen, die vornehmlich durch einen Mangel an Lebenssinn hervorgerufen werden. Ich hatte mich also schon eingehend mit Depressionen und ihren Heilungschancen beschäftigt. Aber all dieses theoretische Wissen nützte mir rein gar nichts, um meinen Zustand allein aus eigener Kraft zu verbessern.
Das ist typisch für eine Depression. Sie verschließt sich allen rationalen Argumenten und allem theoretischen Wissen. Eindrücklich schildert das der Psychiater Piet C. Kuiper in seinem Buch »Seelenfinsternis« (siehe Bücher und Adressen, die weiterhelfen ). Kuiper, der jahrelang erfolgreich depressive Menschen behandelt hatte, sah sich seiner eigenen Depression völlig hilflos gegenüber. Auch sein Beispiel zeigt: Wer in einer Depression steckt, braucht unbedingt Hilfe von außen!
Ablenkung
Auch Ablenkungsmanöver wirkten höchstens für ein paar Minuten, denn ich konnte mich nicht auf die angenehme Situation einlassen und meine Gedanken drifteten sofort wieder ab zu meinem Problem. Das zeigte sich zum Beispiel bei einer Einladung zur Premiere des Walt-Disney-Films »Cars«. Man fuhr bei dieser Open-Air-Veranstaltung mit seinem Auto über einen roten Teppich, alle Sprecher der Zeichentrickfiguren waren anwesend, und es gab ein wunderbares Buffet. Unsere Jungs waren überwältigt. Eigentlich liebe auch ich solche besonderen Ereignisse, und wenn ich etwas so Außergewöhnliches erleben darf, kann ich mich dem normalerweise richtig genussvoll hingeben. Nicht jedoch diesmal. Ich hatte für all das keine Augen, schlich wie ein waidwundes Tier in der Dunkelheit abseits der Zuschauer umher und konnte wieder nur das eine denken: »Wir sind ruiniert und ich bin schuld.« Und auch jetzt musste ich den Gedanken immer wieder aussprechen, sogar in der Schlange vor der Damentoilette zwischen all den schick gekleideten Menschen – obwohl ich merkte, wie komisch mich die Leute anguckten. Und wie ich so vor mich hinbrabbelnd meine depressiven Kreise zog, erkannte ich zwar, dass ich uns den Abend verdarb, meinen Kindern peinlich war und allen Kummer bereitete, aber diese Einsicht nützte nichts. Ich konnte einfach nicht anders. Ich war nicht mehr Herrin meiner selbst.
Trost
Ich bin ein religiöser Mensch, also versuchte ich, mich in den Kontakt mit Gott einzulassen und mir von dort Trost zu holen. Aber auch das funktionierte nicht. Ich konnte mich ja nicht einmal mehr auf ein Gebet konzentrieren. In einer Depression ist es leider so, dass man nicht nur den Kontakt zu seinen Mitmenschen verliert, sondern dass oft auch alles wegbricht, was einem spirituellen Halt gibt. Ich fühlte mich von Gott verlassen, unnütz, unfähig. Die Nächte waren schrecklich, ich konnte nicht schlafen und die Dunkelheit der Nacht ließ die Schatten, die über meiner Seele lagen, noch
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