Die Seele heilen
Visionen entwickeln, das heißt, ich sehe, wo ich etwas verbessern kann und will. Und mir wächst dann auch die Kraft zu, die Dinge anzupacken, also zu handeln und auch einmal etwas Neues zu wagen.
Niemand ist für alles verantwortlich
Für Menschen, bei denen sich die Depression in übergroßer Antriebslosigkeit ausdrückte, ist die Einsicht wichtig, dass jeder Mensch zumindest in seinem kleinen Lebensumfeld etwas bewirken kann. Das kann dann ein Ansporn für größere Aktivität sein und das wiederum fördert das Wohlbefinden ( siehe [→] ). Für mich hingegen bedeutete Selbsterkenntnis, eine gewisse Demut gegenüber meinen persönlichen Möglichkeiten zu entwickeln: Ich lernte, dass ich es nicht allen recht machen kann und dass ich nicht an allem Schuld bin. Und so gab ich auch allmählich die Überzeugung auf, für das Glück aller meiner Lieben zuständig zu sein. Trotz aller guten Absichten hatte diese Einstellung mich und meine Mitmenschen oft gestresst und meine Enttäuschung programmiert, wenn meine Lieben dann doch nicht so glücklich waren, wie ich sie eigentlich machen wollte. Ich habe erkannt, dass mein Einfluss auf den Lauf der Dinge beschränkt ist. Das ist ein wenig schmerzlich, hat aber auch etwas Positives. Margarete Mitscherlich brachte es in einem Interview auf den Punkt: »Wenn man begriffen hat, dass man gar nicht so unendlich wichtig ist, muss man sich auch nicht mehr so über sich schämen. Das fördert die Zufriedenheit sehr.«
Selbsterkenntnis ist ein lebenslanger Prozess
Der Prozess der Selbsterkenntnis ist nie abgeschlossen und deshalb tun wir alle gut daran, uns immer wieder etwas Zeit für die Selbstreflexion zu reservieren, das heißt, uns Gedanken über uns selbst und unser In-der-Welt-Sein zu machen. Seit der Depression ist das besonders wichtig für mich, damit ich spüre, ob die Art, wie ich mein Leben führe, mir guttut, und wo ich etwas zum Positiven hin verändern kann.
Das richtige Maß finden
Gibt es ein Kriterium, das uns ein Wegweiser auf unserem Weg zur Lebenskunst sein kann? Ein zentraler Gedanke findet sich bei den antiken Philosophen ebenso wie bei den Kirchenvätern und auch in vielen modernen Lebensratgebern: maßhalten. Das klingt ein wenig nach Askese, Langeweile und Mittelmäßigkeit. Es geht dabei aber nicht so sehr um Enthaltsamkeit, sondern darum, das richtige Maß bei allem zu finden, was wir tun. Es bedeutet auch hinzuspüren, was gerade wichtig ist. Denn wenn eine gesunde Balance besteht zwischen Arbeit und Erholung, zwischen sich der Welt zuwenden und zeitweisem Rückzug, dann steigt die Lebensqualität. Denn ich behalte mir so die Freude am Leben und seinen Herausforderungen, verhindere aber auch, dass ich mich überfordere.
Weniger kann mehr sein
Um gesund zu werden, musste meine Zimmernachbarin in der Klinik lernen, die beruflichen Ansprüche an sich selbst ins rechte Maß zu bringen. Sie erkannte, dass sie sich als Abteilungsleiterin überfordert fühlte, gab deshalb ihre neue Stelle auf und arbeitet seitdem wieder als Teammitglied.
Ich persönlich musste lernen, einen Gang bei meinen Aktivitäten zurückzuschalten. Das hieß, auf manches Ehrenamt, bei dem ich mich wichtig fühlen konnte, zu verzichten und manches interessante Ereignis auszulassen, um Kraft für den Alltag zu haben. Dies nicht als bedauernswerten Verzicht zu erleben, sondern mich auch bei reduzierter Aktivität lebendig und gut zu fühlen, das ist immer noch eine anspruchsvolle Aufgabe für mich. Ich schätze auch jetzt noch die Herausforderung und brauche auch manchmal Highlights, die den Alltag verzaubern, aber ich versuche, nicht mehr möglichst viele außergewöhnliche Dinge in möglichst kurzer Zeit zu tun. Dabei habe ich eine interessante Entdeckung gemacht: Wenn ich mich nicht überfrachte, haben die einzelnen Dinge mehr Kraft, meine Seele zu berühren. Ich erlebe dann zwar weniger, das aber intensiver.
Auch mehr kann mehr sein
Das richtige Maß finden kann auch bedeuten, mehr zu tun, um so der depressiven Tendenz, sich zurückzuziehen, entgegenzuwirken. Einer meiner Mitpatienten hatte zum Beispiel immer geglaubt, er sei sich selbst genug und außerdem ohnehin nicht in der Lage, Bekanntschaften zu knüpfen. Er zog sich zunehmend von der Welt zurück. Während der Therapiezeit schaffte er es, sich einem Tanzsportverein anzuschließen und so einen, wenn auch lockeren, Bekanntenkreis aufzubauen. Die regelmäßigen Übungsabende brachten Struktur in seine Freizeit und er
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