Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Martin. Dort droben stand, ganz klein, der Türmer und blies mit solcher Anstrengung in seine Trompete, das man sogar vom Grünen Markt aus seine Backen rot leuchten sah. Mit der einen Hand hielt er das Instrument, mit der anderen gestikulierte er wild. Und dann setzten, eine nach der anderen und von überall her, die Glocken der Stadt ein: vom Dom, von Alt Sankt Martin, vom Michelsberg, von Sankt Gangolf, der Heiliggrabkirche, am Schluss sogar das silberhelle Glöckchen vom Klarissenkloster. Die Menschen ließen in heller Panik alles stehen und liegen und liefen aus den Häusern.
»Die Schweden!«, brüllte der Türmer hinunter auf den Marktplatz. »Die Schweden sind da! Gott helf uns!«
Einer der Büttel drehte sich auf dem Absatz um und lief weg. Der Schultheiß öffnete den Mund, machte ihn aber ratlos gleich wieder zu. Nur der Malefizkommissar ließ sich nicht beirren. »Los!«, geiferte er. »Was steht Ihr herum wie die Maulaffen? Holen wir uns die Hexe!«
Der Henker schmiss das Seil hin, das er in der Hand gehalten hatte. »Leckt mich am Arsch, Schwarzcontz! Habt Ihr nicht gehört? Die Schweden kommen! Ich geh heim und kümmere mich um mein Weib und meine Kinder! Holt Euch Eure Hexe allein!« Er stapfte davon.
»Hiergeblieben!«, schrie Pappenheim.
Die Büttel überlegten gar nicht lang, zuckten die Schultern und gingen. Auch der Pfarrer befand, er sei jetzt woanders nötiger und machte sich eilig davon. Schließlich standen Gottfried von Pappenheim und Schwarzcontz allein da. Der Stadtrichter breitete in einer Geste der Hilflosigkeit die Arme aus und tat einen kleinen Seufzer. Dann ging auch er. Der Hexenkommissar spuckte aus, trat wütend mit dem Schuh gegen die Tür und gab auf. Die anderen hatten wohl recht. Jeder, auch er, würde jetzt selber sehen müssen, wo er bliebe. Alles andere war unwichtig.
Zehn Tage später, nach zähen Verhandlungen mit der Bürgerschaft, zogen die schwedischen Truppen unter General Horn in die Stadt ein. Nur auf der Oberen Brücke stießen sie auf improvisierten Widerstand. Der Rat hatte dem Feind, um das Leben seiner Bürger zu schützen, hohe Zahlungen angeboten, die denn auch akzeptiert wurden. Jedes Haus erhielt eine Besatzung aus fremden Soldaten.
Im Zuge der Einquartierungen und Plünderungen stießen die feindlichen Landsknechte auch auf das Malefizhaus; es war verschlossen und von den Wachen nichts mehr zu sehen. Schließlich brach man die Tür auf.
Unter den entsetzten Blicken der protestantischen Söldner verließen am Ende die letzten zehn in Verhaft liegenden Hexen und Zauberer ihr Gefängnis. Einer davon war Caspar, der Mohr.
Bamberg, Mohrenapotheke, Ende März 1632
Abdias Wolff packte den großen, silbrig glänzenden Hecht bei den Kiemen und hielt ihn mit beiden Händen über den Kessel, in dem schon ein würziger Sud mit Zwiebeln und Gemüse blubberte. »Jetzt darfst du wieder schwimmen, Freundchen«, grinste er und ließ den Fisch vorsichtig hineingleiten.
»Ich hätt lieber ein Stückchen von dem guten Schinken, den ihr aus Wien mitgebracht habt«, brummelte Toni. Er war immer noch nicht zum Fischliebhaber geworden.
»Untersteh dich!« Johanna drohte mit dem Zeigefinger. »Heut ist Karfreitag, da gibt’s kein Fleisch. Wehe, ich erwisch dich!«
Es klopfte, und Cornelius trat ein, ein Körbchen mit Ostereiern in der Hand. »Gegengabe für eine ausgebrannte Warze«, verkündete er. Die Eier waren mit Zwiebelschalen rotbraun gefärbt und dann mit gekratzten Mustern verziert worden, wie es in Franken seit jeher Brauch war: Die einen mit Kreuz, Herz und Anker, die für Glaube, Liebe und Treue standen, die anderen mit Ähre und Traube als Symbole für Brot und Wein.
Johanna nahm Cornelius das Körbchen ab. »Die müssen alle bis nächste Woche gegessen sein«, lachte sie. »Du weißt doch, es bringt Unglück, wenn am Tag der Hochzeit im Haus der Braut Eier sind.«
»Das Unglück kommt so und so, da braucht’s keine Eier.«
Sie sahen alle zu Heinrich Flock hinüber, der auf der Ofenbank saß und mit beiden Händen ein Krüglein Bier umklammerte. Er konnte den Verlust noch nicht überwinden; die Verbitterung über sein Unglück machte ihm das Leben schwer. Nach Theas Tod wollte ihn nichts mehr freuen. Er hatte sein Haus verkauft, in dem sie so glücklich gewesen waren, und war in ein kleineres gezogen. Im Rat saß er nur noch lustlos, eigentlich interessierte ihn nichts mehr. Seit er wieder zurück in Bamberg war, versuchte er, seine kleine Tochter
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