Die Seelenjägerin - 1
wiegen? Sie hatte in den vielen Jahren, die sie mit Magistern verbracht hatte, immerhin gelernt, dass die Grenze zwischen Spiel und Ernst bei diesen Männern nicht zu erkennen war. Ein äußerlich junger Magister konnte ebenso gut zwanzig wie tausend Jahre alt sein.
Colivar nickte verbissen, als sie zu Ende war. »Bring uns zu ihm.« Sula wollte ihm etwas zuflüstern, aber Colivar winkte ab; mit jäh aufwallender Eifersucht begriff Siderea, dass die beiden nicht wirklich verstummt waren, sondern das Gespräch in einer Welt sprachlosen Denkens weiterführten, zu der sie keinen Zutritt hatte. Aber sie begehrte nicht auf, sondern führte die Magister schweigend in den Raum, in dem ihr Gast lag. Als sie dort ankamen, blickte Sula ebenso grimmig drein wie Colivar.
Der Mann schlief, aber er fand auch im Schlaf keinen Frieden, sondern warf sich unruhig hin und her wie in den Fängen eines Albtraums, und stöhnte leise wie ein verwundetes Tier.
»Ich habe ihm etwas gegeben, um das Fieber zu senken«, sagte der Leibarzt. »Die äußerlichen Wunden wurden gesäubert und verbunden, was er allerdings an inneren Verletzungen hat, kann ich nur vermuten. Er braucht Eure Hilfe, Majestät.«
In Sidereas Kopf ertönte eine Magisterstimme: Die Krankheit sitzt in seinem Geist, nicht in seinem Körper.
Sie sprach die Worte laut nach, als hätte sie selbst die Diagnose gestellt. Damit hatte sie den Leibarzt von ihren Fähigkeiten überzeugt, er nickte und trat zurück, um den Neuankömmlingen Platz zu machen. Fadir stellte sich an den Fuß des Bettes, Colivar und Sula traten an eine Seite, und Siderea setzte sich auf der anderen Seite auf die Bettkante. Die Diener hatten dem Kranken die verschmutzte Kleidung ausgezogen und ihn gewaschen, so gut sie konnten. Die Prellungen und Schnittwunden an seinem Oberkörper waren deutlich zu erkennen. Der Unterleib war in Decken gehüllt, aber Siderea war sicher, dass er nicht anders aussah.
Sie ließ den Magistern Zeit, ihn mit ihren Zauberkräften zu studieren, dann strich sie ihm sanft über die Wange. Der Mann schreckte aus dem Schlaf auf und wollte sich ihrer Hand entziehen – doch etwas ergriff ihn und hielt ihn fest. Er runzelte die Stirn, als hätte er Schmerzen, gleich darauf entspannten sich erst seine Züge … dann sein ganzer Körper, er sank mit knirschenden Gelenken auf das Bett zurück und schlug langsam die Augen auf.
Sein Blick verriet jetzt weder Schmerz noch Furcht, aber man konnte ihn auch nicht wach oder menschlich nennen. Irgendjemand hatte sich seiner bemächtigt und ihn in einen Zustand versetzt, in dem er Fragen beantworten konnte, ohne von den dadurch ausgelösten Erinnerungen in den Wahnsinn getrieben zu werden.
»Wie heißt du?« Sie sprach leise und sanft wie zu einem verletzten Tier. Wahrscheinlich war das nicht nötig, nachdem er unter dem Einfluss der Magister stand, aber es würde den Dienern, die noch geblieben waren, den Eindruck vermitteln, sie selbst hätte ihn, wenn schon nicht mit Hexerei, so doch durch die Kraft ihrer Persönlichkeit zur Ruhe gebracht.
»Halman Antuas.« Auch seine Stimme klang ruhig, aber sie war ohne jedes menschliche Gefühl.
»Woher kommst du?«
Wieder legte sich seine Stirn in Falten; die Frage schien ihm Mühe zu bereiten.
»Wenn Majestät gestatten …« Das war Fadir.
»Natürlich.« Sie nickte huldvoll.
»Wo warst du zuletzt, bevor du hierherkamst?«, fragte Fadir.
Diesmal gab es kein Zögern. »Im Westen. In Corialanus.«
Sie musste die Frage stellen. »Im Land des Fürsten Hadrian?«
»Ja.«
Sie schloss kurz die Augen und erschauerte innerlich. Ob wohl auch ihr Geliebter dem Blutbad zum Opfer gefallen war, von dem der Fremde gesprochen hatte?
»Was hattest du dort zu tun?«, fragte Colivar.
»Wir wollten den Männern am Königspass Vorräte bringen.« Beim Namen des Ortes zuckte Antuas zusammen; die Erinnerungen kehrten allmählich zurück, und Siderea konnte förmlich sehen, wie der Magister zu kämpfen hatte, um ihn im Griff zu behalten. »Ich hatte zwei Dutzend Leute bei mir, ausgebildete Gardisten, fähige Kämpfer. Jetzt sind sie alle tot …«
Siderea erklärte leise: »Der Königspass ist eine kleinere Straße, die von Dantons Gebiet nach Süden führt. Sie ist schmal und tückisch, nicht allzu gut für größere Truppenbewegungen geeignet, aber ein möglicher Zugang für einen Eroberer, der die stärker befestigten Regionen meiden möchte. Auf der Passhöhe gibt es einen Wachtposten, für den die
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