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Die Seelenjägerin - 1

Die Seelenjägerin - 1

Titel: Die Seelenjägerin - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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ist es schon seit Längerem zu spät, und bevor er diesen Gedanken noch zu Ende bringen kann, sieht er sie taumeln. Zuerst ist es nur ein Zittern, das über ihre ausgestreckten Arme läuft, aber er weiß, dass sie es so empfindet, als hätten sich auf einen Schlag alle Adern mit Eis gefüllt. Er kennt das von seiner eigenen Translatio. Er weiß, wie es ist, wenn sich die Panik der Seele eines Menschen bemächtigt, weil der Lebensfunke, der seit seiner Geburt in ihm brennt, plötzlich zu flackern beginnt wie eine erlöschende Kerze. Man schickt Gebete zum Himmel – vergeblich! –, kein Gott, der seit Jahren zusieht, wie man seine Kräfte vergeudet, wird sich von solcher Reue in letzter Minute erweichen lassen. Das Herz krampft sich in der Brust zusammen wie eine Faust, die jene letzten kostbaren Lebenstropfen festzuhalten sucht. Doch wenn man dieses Stadium erreicht hat, ist es zu spät. Man hat sein irdisches Leben verbraucht, der Tod schwebt bereits über seinem jüngsten Opfer und zaudert nur noch einen einzigen, entscheidenden Moment, während die Flammen des Athra in der Finsternis verglühen …
    Er hört sie aufschreien. Der Laut kommt nicht aus ihrem Mund, sondern aus den Tiefen ihrer Seele, ein gequältes Aufheulen, eine Mischung aus Trotz, Angst, Entschlossenheit – und jenem schieren Eigensinn, der immer schon ihr stärkster Charakterzug war. Doch auch damit kommt sie jetzt nicht mehr weiter. Du musst bereit sein, alles hinter dir zu lassen, was du bist , denkt er, und zu einer Nachtgestalt werden, so schrecklich, dass die Menschen sich vor Angst verkröchen, wenn sie wüssten, dass sie unter ihnen wandelt. Und du musst den Weg dahin alleine finden, ohne dass er dir gezeigt wird; der Wunsch muss so stark sein, dass du alle Bedenken abschüttelst.
    Schüttelt ein Mann wirklich alle Bedenken ab? , fragt er sich. Eine Frau muss es tun. Sie wurde von der Natur dazu bestimmt, Leben in die Welt zu setzen, zu hegen und zu pflegen, und ihre Seele ist ganz und gar auf diese Aufgabe hin ausgerichtet. Im Urzustand vermag eine solche Seele weder die Translatio zu bewältigen, noch die spirituelle Prüfung zu überleben, die sich anschließt. Kann Kamala alles von sich werfen, was ihr die Götter schenkten, als sie sie zur Frau machten, kann ihr Hunger nach Leben so verzweifelt sein, dass ihr das Leben anderer nichts bedeutet? Männer werden mit dieser Fähigkeit geboren, denn die Natur hat sie für den Krieg geschaffen, aber Frauen müssen sie erst gegen alle natürlichen Widerstände erwerben.
    Deine Bestimmung war es, der Welt Leben zu schenken , denkt er. Jetzt musst du ihr den Tod bringen, wenn du überleben willst.
    Sie liegt auf den Knien, von Krämpfen geschüttelt, Todesängste zerreißen ihr die Seele. Aethanus hört, wie sie ihre Verzweiflung in den Himmel schreit. Sie ruft sogar seinen Namen, es klingt wie ein Gebet – sie fleht ihn um das Wissen an, das sie zum Überleben braucht –, aber er antwortet nicht. Jeder Schüler muss den Weg zu seiner Wahrheit alleine finden; so verlangt es die Tradition der Magister. Sonst könnten schwächere Schüler zwar unbeschadet durch die Translatio gebracht werden, wären aber nicht für das gerüstet, was danach kommt.
    Vergib mir, meine wilde kleine Hure. Und vergib auch den Göttern, denn sie haben verfügt, dass jede Geburt unter Qualen erfolgt.
    Und dann …
    Er kann es spüren. Plötzlich erkennt sie, dass da außer ihr noch etwas ist. Jenseits der Wolken, jenseits des Windes, jenseits der Teile der Erde, denen der Mensch Namen gegeben hat. Eine Kraftquelle, die unabhängig von ihr selbst existiert, dem Athra ähnlich, dessen Strom in ihrer Seele langsam versiegt, und doch anders. Sie will danach greifen, aber die Kraft lässt sich nicht fassen. Nein! , schreit sie. Ich werde nicht scheitern! Ein neuer Funke glimmt auf, und sie hascht danach, bietet ihre ganze Willenskraft auf, um ihn an sich zu binden, bevor das Feuer in ihrem Fleisch vollends erlischt. Aethanus kann ihre Entschlossenheit, das Glücksgefühl der jähen Erkenntnis förmlich schmecken. Das, ja, das war es, was sie entdecken sollte – diesen fremden Funken, der kein Seelenfeuer ist, sich aber einfangen lässt, um als Ersatz dafür zu dienen. Warum hat ihr Aethanus nicht einfach gesagt, worum es geht? Warum hat er sie nicht gelehrt, mit welchen Mitteln sie den Funken zähmen kann? Jetzt ringt sie mit dem Tod und muss dabei in höchster Eile ein Band knüpfen zwischen sich und dieser fernen

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