Die Seelenjägerin - 1
schon deshalb auf meine Vernichtung sann, weil ihn die Herausforderung lockte. Natürlich kannten sie meinen Auftrag; das ganze Reich wusste darüber Bescheid. Sie hatten sich wie die Geier um das Aas geschart, beobachteten mich mit hungrigen Blicken … und warteten …«
Er schüttelte den Kopf, wie um die Erinnerungen zu vertreiben.
»Dann begannen die Darbietungen. Die Sonne ging unter, eine dunkle, mondlose Nacht stand bevor; der König hatte den Tag für das Fest bewusst so gewählt. Auf dem großen Platz und abseits davon tummelten sich so viele Zecher, dass einem die Luft, die sie ausatmeten, die Sinne verwirrte. Die ausgelassenen Gestalten in ihren bunten Kostümen umschwirrten die fremden Magister wie trunkene Falter, und auch der König an meiner Seite war wie berauscht von seiner eigenen Macht und von der Vorfreude auf das geplante Spektakel, das seinen Ruhm so gewaltig mehren sollte.
Das Feuerwerk begann. Zuerst jagten die Morati ihre Leuchtkörper über den nächtlichen Himmel. Es war ein prächtiges Schauspiel. Aber nicht prächtig genug für diesen König, der nicht nur seinen Sieg feiern, sondern seine Untertanen auch mit seinen engen Beziehungen zu einem Magister beeindrucken wollte. Daher griff ich ein, nachdem sich die Menge ein wenig an das Spektakel gewöhnt hatte, und verstärkte um ein Vielfaches die Leuchtkraft, die Farben, die Bewegungen … ich spannte einen dünnen Nebelschleier auf, der bei jeder Explosion das Licht reflektierte und den Himmel mit Farben erfüllte wie bei einem gewaltigen Unwetter. Ich verwob Lichtbänder zu immer neuen Mustern … aus einem lächelnden Frauengesicht wurde die Hellebarde eines Soldaten, und die verwandelte sich wiederum in das Wappen des Königs. Unter meinem Einfluss wurde die Nacht zum Tage, ja, neben meinen Darbietungen wäre selbst der herrlichste Sonnenuntergang verblasst. Unten auf dem Platz hörten selbst die trunkenen Falter auf, mit ihren Flügeln zu schlagen, Bier und Wein waren vergessen, alle bestaunten das Geschenk ihres Königs.
Und dann … geschah es. Ich hatte es kommen sehen. Den Himmel umzugestalten ist ein aufwändiges Unterfangen, tollkühn selbst dann, wenn der Konjunkt jung und kräftig ist. Meinem Konjunkten entzog ich dafür mehr Athra, als er entbehren konnte, und als er starb, durchzuckte es mich wie ein Speer aus Eis, und ich fiel aus allen Wolken.
Unter normalen Umständen schlägt der Tod nicht so plötzlich und nicht mit so verheerender Wirkung zu, aber mitten in einem größeren Werk ist er eine große Gefahr. Daher wird ein Magister einem erschöpften Konjunkten lieber vorher und ohne Zeugen die letzten Kräfte entziehen, um nicht während des Zaubers von der Translatio überrascht zu werden. Doch diese Art von Mord hatte ich immer abgelehnt, und das rächte sich nun.
Ich sah die Lichter am Himmel nicht mehr. Fast hätte auch ich mein Leben verloren. Verzweifelt suchte meine Seele in der Nacht – als mein Zauber zu wirken aufhörte, war es stockdunkel geworden – nach einer neuen Kraftquelle. Alle meine Rivalen begriffen, was in diesem Moment, diesem Augenblick des Schreckens geschehen war. Natürlich. Sie hatten ja nur darauf gewartet, hatten bei jeder neuen Darbietung den Atem angehalten und sich Hoffnungen gemacht. Dies ist die einzige Situation, in der ein Magister so verwundbar ist, dass ihm ein Mensch das Leben nehmen … oder ihm noch Schlimmeres antun kann.
Ich weiß nicht, mit welchen magischen Waffen man auf mich zielte. Mit heimtückischen Pfeilen vielleicht, die sich mit Widerhaken in meine Seele bohrten, um mich später zu zwingen, einer fremden Macht zu gehorchen; oder mit gröberen Geschützen, um mir Verletzungen oder Verkrüppelungen zuzufügen, die kein Moratus je zu sehen bekäme. Magister sind im Grunde ihres Herzens grausam, und nichts fördert die Grausamkeit schneller zutage als der Anblick eines hilflosen Rivalen. Die Morati bekamen von diesem Drama nichts mit, sie wollten nur wissen, warum die hübschen Lichter erloschen waren und wann sie wieder aufflammen würden.
Endlich gelang es mir mit letzter Kraft, einen neuen Konjunkten an mich zu binden. Ich trank sein Athra wie ein Verdurstender in der Wüste das frische Wasser einer Oase und schlug damit alle Angriffe aus dem Dunkel zurück. Ich glaube, ich habe gesiegt. Aber wer weiß? Vielleicht trage ich aus dieser Zeit immer noch etwas in mir. Vielleicht besteht noch eine Verbindung zu irgendeinem meiner Rivalen … wie könnte ich jemals
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