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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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Konjunkten anfasste? Oder vollzog sich der Austausch von Athra so heimlich, dass der Körper nichts davon wahrnahm? Würde sie dem Mädchen die letzte Lebenskraft entziehen, wenn sie ihre Macht beschwor, um in seine Seele zu schauen? Was empfand man, wenn man zusehen musste, wie das Seelenfeuer eines Konjunkten erlosch, wenn man einen winzigen Körper wie diesen unter den Händen hatte, während die letzte Lebenswärme abfloss und nur noch eine leere Hülle zurückblieb?
    … die jung-alte Frau hält Kamalas Bruder in den runzligen Armen und singt mit leiser Stimme. Teile von Wiegenliedern, gesättigt mit Hexenkunst. Kovan schreit auf vor Schmerz, als das Fieber in seinem Blut heiß aufflammt und die grünen Pusteln auf seinem Gesicht zu pochen beginnen. Die Alte schaut nur kurz zu Kamala auf. Ihre grauen Augen liegen tief in den Höhlen und sind von unergründlicher Traurigkeit. Resignation. Als wollten sie sagen: »Für dieses Kind werde ich sterben.«
    »Kannst du ihr helfen?«
    Erdas Stimme holte Kamala in die Gegenwart zurück. Bei allen Göttern, wie viele Jahre hatte sie nicht mehr an diesen Besuch gedacht? Lange Zeit hatten die Augen der alten Hexe sie in ihren Träumen verfolgt so wie jetzt die Augen des Magisters mit dem Narbengesicht. Wahrhaftig, dachte sie, zu wissen, dass man dem Tode nahe war, aber die rettende Kraft nicht beschwören zu können, musste das Schlimmste überhaupt sein. Die Hexe hatte ihr Leben lang anderen geholfen, der Magister hatte jahrhundertelang in beispielloser Selbstsucht gelebt, aber was machte das in den letzten Augenblicken für einen Unterschied? Spielte es für den Tod irgendeine Rolle, wie sie gelebt hatten, wenn er schließlich kam, um sie zu holen?
    Das Mädchen war jung. Blutjung. Etwa so alt, wie Kamalas Bruder gewesen war, als ihn die grüne Pest befiel. Kamala erinnerte sich, wie sie an seinem Bettchen Wache gehalten und den verzweifelten Gebeten ihrer Mutter zu irgendeinem Gott gelauscht hatte. Wahrscheinlich hatte die Mutter dieses Kindes Nacht für Nacht ähnliche Gebete zum Himmel geschickt. Die Götter waren bekannt für ihre Gleichgültigkeit in solchen Dingen; sie hatten Kovan damals nicht geholfen, und Kamala zweifelte, dass es jetzt bei diesem Mädchen anders wäre. Besonders wenn es nicht an einer natürlichen Krankheit starb, sondern weil ihm irgendein Magister gierig seine Kräfte raubte.
    Kamala holte tief Atem, verdrängte das Bild ihres toten Bruders und richtete ihr Zweites Gesicht auf die winzige Gestalt auf dem Bett. Es fiel ihr nicht schwer, die Schatten des Todes zu erkennen, den kalten Nebel, der jeden Atemzug begleitete wie der Eishauch des Winters. Ein Blick in das Gesicht des Kindes bestätigte ihr, dass es im Sterben lag, zeigte ihr aber nicht, woran es starb. Dazu war Magie vonnöten.
    Du weißt, wozu du hier bist. Warum zögerst du?
    Langsam und vorsichtig löste sie den Würgegriff um ihre Macht. Das Kind wimmerte leise und warf sich auf dem Bett hin und her. Kamalas Herz machte einen Satz. Angenommen, die Kleine wäre tatsächlich ihr Konjunkt, würde sie spüren, wenn sie ihr das Leben entzog? Überfiele sie das gleiche Entsetzen wie ein Tier, das den Schatten eines Räubers auf sich spürt? Wie eine Welle stieg die Übelkeit in Kamala hoch. Sie hatte sich damit abgefunden, dass sie fremde Menschen töten musste, um selbst am Leben zu bleiben, aber das war noch weit davon entfernt, ein Kind zu foltern.
    Ein kalter Wind wehte ihr durch die Seele, und es wurde dunkel um sie; eisige Bänder legten sich um ihre Brust und schnürten ihr den Atem ab. Einen kurzen, erschreckenden Moment lang spürte sie den Abgrund zu ihren Füßen, die unendliche Leere, die sie verschlingen würde, sobald die Verbindung zu ihrem Konjunkten zerriss. Zu spät erkannte sie ihren Fehler. Es spielt keine Rolle, ob dein Konjunkt ein Kind ist , ermahnte sie sich verzweifelt, ein Säugling, ein Krüppel oder sonst ein Wesen, das dein Mitleid erregt. Die Götter bestimmen, wer für dich stirbt, und du musst dich damit abfinden. Aber bloße Worte wirkten nicht mehr. Ihre Lungen waren zu Eis erstarrt und wollten sich nicht mehr füllen; alles begann sich zu drehen, sie fiel neben dem Bettchen auf die Knie. Sie spürte, wie das kostbare Band, das zu ihrem Konjunkten führte, zu zerfasern begann wie ein morsches Seil, und je mehr sie alle Sinne darauf richtete, desto schneller schien es sich aufzulösen.
    NEIN! Sie schrie das Wort im Geiste, bekam aber nicht genügend Luft,

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