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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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als eine Speisekammer geschaffen. Dort standen ein kleines Bett mit einem Stapel sauberer, aber vom Gebrauch dünn gewordener Decken, daneben ein Nachtgeschirr, ein Tischchen mit einem Teller voll unberührter Speisen und einige weitere Möbelstücke. Doch Colivar war weniger an der Einrichtung interessiert als an dem Wesen, das unter den Decken kauerte und vor Angst wimmerte, als sie näher traten.
    »Schon gut«, sagte Sula leise zu dem Deckenberg. Er sprach in einem nordischen Dialekt, den auch Colivar vor Ewigkeiten einmal beherrscht hatte. »Wir sind Freunde. Komm heraus, wir tun dir nichts Böses.«
    Zunächst geschah gar nichts. Ein schwächerer Magister hätte seine Macht eingesetzt, um Druck auszuüben, aber Colivar kannte Sula und wusste, dass er es ablehnte, seine Energien zu vergeuden, solange er sein Ziel auch mit anderen Mitteln erreichen konnte. Tatsächlich vergingen nur ein paar Sekunden, dann begann sich der Berg zu regen. Unter den Decken zappelte etwas. Eine kleine schmutzige Hand mit eingerissenen Fingernägeln schob sich ins Freie, als wolle sie prüfen, ob die Luft rein sei. Dann wurde die Decke zurückgeschlagen, und ein kleiner Junge kam zum Vorschein … blass, zitternd und offenbar außer sich vor Angst.
    »So ist es gut, mein Junge. Siehst du? Keine Gefahr.« Sula setzte sich auf die Bettkante. Colivar hätte erwartet, dass der Junge vor ihm zurückschreckte, aber vor Menschen schien er sich nicht zu fürchten. Stattdessen huschten seine Augen unruhig durch den Raum, als suche er etwas in den Schatten, und erst, nachdem er zweimal in jeden Winkel geschaut und nichts gefunden hatte, beruhigte er sich ein wenig und wagte, den Blick auf die Besucher zu richten.
    Seine Augen waren erschütternd, von kindlicher Frische und zugleich durch irgendein schreckliches Erlebnis wie um Jahrhunderte gealtert.
    »Keiner da?«, flüsterte er.
    »Keiner von ihnen ist da«, versicherte ihm Sula. »Du weißt doch, hier können sie nicht herein. Dafür hat Mutter Tally gesorgt.«
    Der Junge nickte langsam. Man konnte es kaum mit ansehen.
    »Das ist mein Freund. Er heißt Colivar. Er wollte dich kennenlernen.«
    Die verstörten Augen musterten den schwarzhaarigen Besucher.
    »Colivar, das ist Kaiden.«
    »Sehr erfreut, deine Bekanntschaft zu machen«, sagte der Magister.
    Der Junge antwortete nicht.
    »Ich habe ihm erzählt, wie tapfer du warst«, fuhr Sula fort.
    Eine Träne rollte dem Jungen über die Wange und versickerte in der bereits vorhandenen Salzkruste. »Nicht tapfer«, flüsterte er. »Ich bin weggelaufen.«
    »Kaiden …« Colivar streckte die Hand aus, aber der Junge erschrak vor der jähen Bewegung, drückte sich hastig in die Ecke und zog die schäbigen Decken fest um sich. Colivar hielt inne, ließ die Hand aber nicht sinken. Ein Augenblick verging, er wartete, bis ihm der Junge wieder in die Augen sah, dann sagte er leise: »Schlaf ein.«
    Die Lider schlossen sich. Die Gesichtsmuskeln erschlafften, aber die Tränenspuren blieben unverändert. Die Finger, die sich um die Decken krallten, lockerten sich ein wenig, ohne jedoch vollends loszulassen.
    »Er kann uns nichts mitteilen, was uns weiterbrächte«, überlegte Colivar laut. »So viel steht fest.«
    Sula nickte. »Er hat den Verstand verloren. Manchmal stößt er ein paar Worte hervor, aus denen sich erschließen lässt, was der Grund dafür war … deshalb rief man mich, damit ich ihn mir ansähe. Aber meistens ist er so wie jetzt.«
    Colivar holte tief Atem und beschwor seine Macht. Das Athra gehorchte ihm nicht sofort; wahrscheinlich war sein Konjunkt ihrem oder seinem Ende nahe und konnte ihm kaum noch Energie für weitere Unternehmungen liefern. Er musste sich in Acht nehmen, sonst stünde er womöglich in einem ungünstigen Moment ohne Kraftquelle da.
    Für diesmal reichte es allerdings noch. Er befahl seiner Macht, sich um Kaiden zu legen und ihm wie in einem Spiegel zu zeigen, was den Jungen so verängstigt hatte.
    Das Athra entfaltete seine Wirkung nur langsam, einzelne Schwaden verschmolzen zögernd zu einer Nebelwolke, die sich vor Kaidens Augen verdichtete. Ein Bild nahm Gestalt an. Einzelne Teile tauchten auf und verschwanden wieder, als fände die Macht keinen Halt. Kot. Tote Fliegen. Ratten. Leichen, auf einem Tisch zusammengesunken. Dann endlich konnte sich die Macht verankern, und ein Bild entstand … so fest und greifbar, als könnte man es in die Hand nehmen und in die Realität herüberziehen.
    Es war schwarz, Körper

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