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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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und Flügel schillerten bläulich-violett, und es schwebte in der Luft wie eine Libelle, aber es war alles andere als ein Insekt.
    Sula reagierte prompt. Er schnappte nach Luft, trat unwillkürlich einen Schritt zurück und machte über seiner Brust das Zeichen eines der höheren Götter. »Ist das … ist es das, wofür ich es halte?«
    Colivar antwortete nicht sofort, und Sula drehte sich nach ihm um. Sein schwarzhaariger Lehrer machte ein so grimmiges Gesicht, wie er es noch nie bei ihm gesehen hatte. Der Ausdruck seiner Augen war erschreckend – unheilvoll und grausam –, als quäle ihn eine böse Erinnerung, die ihn für alles andere blind machte.
    Nur langsam nahm er den Raum, Sula und den Jungen wieder wahr, und nach langem Schweigen sagte er: »Ja. Es sieht ganz danach aus.«
    »Ich dachte, sie wären alle tot. Ausgerottet in den Finsteren Zeiten. Hast du mich das nicht gelehrt?«
    »Nein«, sagte Colivar leise. »Nicht ausgerottet. Verschwunden, das ja … aber nicht ausgerottet.«
    Colivar streckte langsam die Hand aus, als wollte er das Wesen berühren. Das Trugbild löste sich auf. Natürlich. Wirklichkeit und Unwirklichkeit ließen sich nicht verbinden.
    Sula zog zischend die Luft ein. »Es ist so klein …«
    »Es wächst noch«, versprach Colivar. »Und dabei wird es sich verändern. Dies ist nicht die endgültige Form.«
    Sula sah ihn scharf an. »Du hast einen gesehen. Voll ausgewachsen.«
    Colivar antwortete nicht, er erhob sich nur und kehrte Sula und dem Jungen den Rücken zu, sodass sein Schüler sein Gesicht nicht mehr sehen konnte.
    Endlich sagte er: »Wenn dieses Wesen … Brüder hat, wird der Schwarze Schlaf über uns kommen.«
    »Der Schwarze Schlaf ist bereits da, mein Lehrer.«
    »Wo?«
    »Eine Tagesreise weiter nördlich. Ich denke, der Junge kommt von dort. Ich habe es in den letzten Wochen bruchstückweise aus ihm herausgeholt … es war nicht einfach. Seine Seele bemüht sich nach Kräften, alles zu vergessen.«
    »Sag mir, was du weißt«, flüsterte Colivar.
    »Das ganze Dorf ist tot.« Sula hörte selbst, wie hohl seine Stimme klang, während er im Geist den Jungen schreien hörte, einzelne Szenen, fieberhafte Erinnerungsfetzen, immer wieder unterbrochen von blinder Panik. »Er war einige Stunden von zu Hause fort gewesen, und als er wiederkam … fand er es so vor.«
    Colivar wandte sich wieder um. »Nur die Menschen? Oder … alles?«
    »Menschen, Tiere … alles, was zu dem Zeitpunkt dort lebte. Es gibt Gerüchte, wonach ein paar andere Bewohner überlebten, weil sie nicht im Dorf waren, als es geschah, aber entweder sind sie nicht aufzufinden, oder sie wollen einfach nicht reden.«
    Colivars Gesicht war schreckenerregend. »Nach dem Ereignis ging doch sicherlich jemand in das Dorf. Was hat man dort gefunden?«
    Sula schüttelte den Kopf. »Der Ort wurde für verflucht erklärt, und kein Mensch wagt sich in seine Nähe. Zumindest gibt es niemand zu.«
    »Aber du warst dort.«
    »Ja.« Die Antwort kam sehr leise. »Ich war dort.«
    »Und?«
    »Alles war so, wie der Junge es beschreibt. Ein totes Dorf. Die Leichen waren unberührt, als wären sie im Schlaf gestorben.« Sein wacher Blick richtete sich auf Colivar. »Wie in den Geschichten vom Schwarzen Schlaf, dem Teufelsschlaf, die du mir erzählt hast … nur war dies kein Schlaf.«
    »Der Schwarze Schlaf tötet nicht. Nicht so viele. Hier wütet etwas anderes.« Er schüttelte den Kopf. Sein Gesicht wirkte verbissen. »Es muss etwas anderes sein.«
    »Du willst es dir selbst ansehen, nicht wahr?«
    Colivar zögerte mit der Antwort. »Ich habe wohl keine andere Wahl«, sagte er endlich. »Ich muss wissen, was geschehen ist.«
    »Wenn du reiten willst, ich habe Pferde besorgt.«
    »Ja.« Colivar dachte an seinen erschöpften Konjunkten und daran, wie unangenehm es wäre, während eines magischen Ortswechsels in die Translatio zu fallen. Er hatte diesen Fehler einmal gemacht und fast mit dem Leben dafür bezahlt. »Wir nehmen die Pferde.«
    Sula beugte sich über den schlafenden Jungen und wickelte ihn fester in die Decke. Es war eine sehr menschliche Geste, Ausdruck jenes selbstverständlichen Mitgefühls, das den meisten Magistern zum Ende ihres ersten Lebens abhanden kam. Ein ungewöhnlicher Zug seines Schülers, den Colivar abwechselnd verachtete und bestaunte. Magister, die Mitgefühl für andere entwickelten, überlebten selten mehrere Jahrhunderte; früher oder später geriet das natürliche Mitleid in Widerstreit mit

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