Die Seelenjägerin
kümmert – die Frage ist vielmehr, wie sich die Menschen verhalten werden, während er stirbt. Richtig?«
»Richtig«, sagte Ramirus. Er nickte zu den beiden Lampen auf dem Kaminsims hin, und die Dochte folgten seinem Befehl und drehten sich höher. Die Helligkeit nahm zu, jedoch nicht genug, um auszugleichen, dass durch die Fensterschlitze kein Sonnenlicht mehr fiel, weil der Winkel für die Strahlen zu spitz geworden war. Im Inneren des großen Saales mit dem dunklen Holz und den rauen Steinmauern konnte man den Eindruck haben, die Nacht sei bereits hereingebrochen; Colivar hätte nicht sagen können, wie weit der Tag fortgeschritten war. »Wir alle wissen, was die Schwundsucht in Wahrheit ist, und wir wissen auch, wie sehr sich die Magister bemühen, diese Wahrheit vor allen Außenstehenden zu verbergen. Wer von uns hätte nicht irgendwann in seiner Laufbahn an dem Betrug mitgewirkt? Wer hätte nie bei einem Patienten das Fieber hochgetrieben, damit es so aussah, als wäre er Opfer einer echten Krankheit? Oder mit Hautpusteln, eiternden Wunden oder sonstigen Symptomen den Angehörigen vorgegaukelt, der Kräfteverlust hätte natürliche Gründe?
Seit Jahrhunderten glauben die Menschen dank solcher Kniffe, die Schwundsucht sei genau das, was wir behaupten – eine grausame Seuche, nicht mehr und nicht weniger. Auch die Ärzte bedauern zwar, dass selbst ihre wirksamsten Arzneien versagen, forschen aber nicht nach anderen Ursachen … sondern vergeuden die letzten Tage des Kranken mit der Suche nach einem neuen Trank, einer neuen Salbe, die ihm Linderung verschaffen könnte. Während wir, die wir die wahre Ursache kennen, nur zu genau wissen, dass es keine Linderung gibt. Wenn die Seele eines Magisters erst einmal begonnen hat, die Lebensenergien eines Sterblichen anzuzapfen, kann die Beziehung nur noch mit dem Tode enden.«
»Wobei«, warf Colivar lässig hin, »der Magister auch darauf verzichten könnte, die Energie zu nützen, aber dass irgendein Magister sich dazu bereitfände, nur um ein Leben zu retten, ist unwahrscheinlich.«
Ramirus nickte. »Genau. Aber in unserem Fall handelt es sich nicht um irgendeinen unbekannten Bauern, der klaglos in seiner Lehmhütte stirbt, während sich die Welt auch ohne ihn weiterdreht. Hier geht es um einen königlichen Prinzen. Er wird von einem Stab von Ärzten betreut, die ebenso wie Danton selbst zu allem entschlossen sind. Sie werden jede Arznei auf dieser Welt an ihm ausprobieren und die Wirkungen genauestens schriftlich dokumentieren. Man wird jeden Heiler ausfindig machen, der noch auf Erden wandelt, und ihn mit oder gegen seinen Willen hierher schaffen. Andovans Vater hat bereits verkündet, kein Preis sei ihm zu hoch und kein Risiko zu groß, um den Jungen zu retten – und das könnte unser Untergang sein.«
»Die Geheimnisse eines Magisters sind nicht mit Geld zu bezahlen«, bemerkte Kellam von Angarra trocken. »Und ohne sie wird man die Wahrheit wohl kaum entdecken.«
»Bist du dir da wirklich so sicher?«, meinte Ramirus skeptisch. »Seit Jahrtausenden ranken sich Volkssagen und Ammenmärchen um diese Krankheit. Oft genug war eine Hexe auf dem Totenbett nur um Haaresbreite von der Wahrheit entfernt. Betrunkene Dummköpfe lallen aberwitzige Anschuldigungen, die für Bauernohren erschreckend überzeugend klingen. Und nun erklärt sich ein König bereit, für jedes haltlose Gerücht gutes Geld zu bezahlen. Was wollt ihr wetten, dass solche Aussagen jetzt einen Anstrich von Seriosität erhalten und man ihnen genauer nachgeht?«
»Es gibt auch andere Lebewesen, die sich vom Athra nähren«, sagte Del. »Wieso sollte man gerade Menschen verdächtigen?«
Ramirus kniff die Augen zusammen. Plötzlich erinnerte er mit seinen schneeweißen Brauen seltsam an eine Eule, die zusehen muss, wie ihr Nest beschmutzt wird. »Du bist nicht auf dem Laufenden, Bruder. Tatsächlich weiß man nur von einem Lebewesen mit Sicherheit, dass es sich so ernährt … und von dieser Gattung wurde seit Jahrhunderten kein Exemplar mehr in den Siedlungsgebieten der Menschen gesichtet. Alles andere sind fantastische Erfindungen, mit denen wir mehr oder weniger schwere Krankheiten mit ganz anderen Ursachen zu erklären suchen, um von unseren eigenen abscheulichen Gewohnheiten abzulenken. Wie lange werden sich solche Flunkereien wohl halten, wenn erst ein Mann von Dantons Kaliber sein Vermögen und seine Macht einsetzt, um ihnen auf den Grund zu gehen?«
»Eine Krankheit zerfrisst den
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