Die Seelenjägerin
das Jagdhorn erschallt. Ich habe in ihre Augen gesehen, Raquel. Sie wissen mehr, als sie zugeben wollen. Als Prinz lernt man so etwas zu erkennen.«
Er beugte sich über den Tisch. »Sag du mir, was mir fehlt. Gib der Krankheit einen Namen – wäre es auch der Teufelsschlaf selbst –, und ich schwöre dir, ich werde dich für deine Aufrichtigkeit belohnen.«
Wieder konnte sie nicht gleich antworten. Ihr Herz klopfte zu laut. Zu viele unsichtbare Fangschlingen, zu viele versteckte Fallen; was davon würde einer Hexe zum Verhängnis werden?
Sie zwang sich zu einem tiefen Atemzug – sie hatte zwischendurch zu atmen vergessen – und sagte sich: Es ist nicht Danton. Der Großkönig war berüchtigt dafür, dass er seinen Zorn an jedem Boten ausließ, der ihm schlechte Nachrichten brachte. Aber dieser Mann? Von Andovan hatte sie noch nichts gehört, was darauf schließen ließe, dass er grausam oder ungerecht wäre. Wenn die Frauen von ihm redeten, steckten sie in dunklen Ecken die Köpfe zusammen und kicherten, während die Männer nur ein finsteres Gesicht machten und so taten, als gäbe es ihn nicht.
Sie beschwor genügend Macht, um seine Absichten zu erforschen … ja, er sagte die Wahrheit, er wollte nur eine ehrliche Antwort. Sein Wunsch nach Gewissheit war so stark, dass sie ihn förmlich auf der Zunge schmeckte.
»Ich bin kein Magister«, sagte sie leise, »aber ich werde für Euch tun, was in meinen Kräften steht.« Er nickte.
Sie streckte ihm die flachen Hände entgegen. Er verstand und reichte ihr die seinen. Sie drehte die Handflächen nach oben und studierte zunächst nur die Muster – hier eine Schwiele, dort eine feine Narbe, die Hand eines Bogenschützen, eines Waldläufers und Jägers, dem an der Überfeinerung des höfischen Lebens wenig lag.
Dann schaute sie tiefer.
Sobald sie unter die Haut drang, spürte sie die Schwäche. Eine sonderbare Schwäche, sie schien von nirgendwo auszugehen, doch die Auswirkungen waren überall. Das Blut floss dünn und stockend wie ein Bach im Hochsommer durch ein Bett, das eindeutig für einen breiteren Strom angelegt war. Doch sie entdeckte nichts, was seinen Lauf blockiert hätte. Der Herzschlag war auffallend gedämpft, aber das Herz arbeitete einwandfrei. Selbst den Muskeln fehlte es an jugendlicher Spannkraft, und auch dafür war keine Ursache zu erkennen: keine Krankheit, kein Parasit, kein Erbfehler, nichts.
Dann lenkte sie den Blick auf sein Seelenfeuer … und ihr stockte der Atem.
Es war erschreckend schwach! Niedergebrannt wie ein wirkliches Feuer, nur noch matt schwelende Glut unter der Asche. Sobald sie es berührte, schlug ihr eine überwältigende Abartigkeit entgegen, und sie begriff, dass hier der Kern seiner Krankheit lag, konnte sie benennen, aber nicht erklären.
Gewöhnlich hütete sich jede Hexe, das Seelenfeuer eines Fremden zu genau zu betrachten, aus Angst, es könnte die eigene Seele zu Asche verbrennen. Doch hier konnte sie die Augen nicht verschließen. Sie hatte zwar von Erkrankungen gehört, die das Seelenfeuer vorzeitig ausbrennen ließen, aber ihr selbst war ein solcher Fall bisher nicht begegnet. Ob das Athra wohl zu heilen wäre wie der Körper, indem man die Ursache seiner Schwäche beseitigte? Könnte sie den Mann wieder gesund machen, wenn sie bis zu den Wurzeln dieser Schwäche vordränge? Angeblich waren Hexen bessere Heiler als Magister, weil die Heilkunst ihrem Naturell mehr entsprach. Könnte sie Erfolg haben, wo alle Diener des Königs versagt hatten?
Zitternd umfing sie mit ihren besonderen Sinnen die sterbende Flamme und prüfte ihre Beschaffenheit. Tief im Inneren ahnte sie einen heißen Funken, der vielleicht das Feuer von Neuem entfachen könnte, wenn sie ihn schürte, aber die äußeren Bereiche waren so dünn und verschattet, dass sie den Tod bereits zu riechen glaubte. Es war das Athra eines sterbenden Greises, ohne dass es eine körperliche Ursache dafür gegeben hätte. Aber an irgendetwas musste es doch liegen, dachte sie. Kein Mensch starb ohne Grund.
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, beschwor die Kräfte ihrer eigenen Seele und blickte noch tiefer in das Herz des Prinzen. Sie durchdrang die äußeren Bereiche des Seelenfeuers, überschritt die Grenze, an der ein Fremder besser innehalten sollte, und stieß bis in das Zentrum der Seelenkräfte vor, wo alle Lebensenergien entstanden …
Und dort wurde sie fündig. Etwas hatte seine Wurzeln in die geschwächte Seele des Prinzen geschlagen, etwas,
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