Die Seelenjägerin
Gäste ausgelegt hatte. »Darf ich mich setzen?«
»Ich … ja, Herr, gewiss doch.« Sie war in heller Aufregung und verabscheute sich selbst dafür. Tu einfach so, als wäre er ein Kunde wie jeder andere. Als er sich auf den dicken Polstern niederließ, schloss sie kurz die Augen und suchte die Gelassenheit wiederzufinden, die ihr Gewerbe erforderte. Doch ihr Herz hämmerte weiter. Zuerst ein Magister und nun ein Prinz. Was mochten die Götter mit ihr vorhaben, dass sie ihr so vornehme Besucher schickten?
Wenn sie wirklich wollte, könnte sie das Geheimnis natürlich lüften. Mit ihrer Gabe wäre es möglich. Aber die Aufgabe wäre schwierig und der Preis hoch. Man opferte leichten Herzens eine Sekunde seines Lebens, um den Namen eines Mannes zu erfahren; aber man zögerte doch, für ein einziges Stück Wissen Jahre seines Daseins hinzugeben.
Der Magister würde es mir vielleicht sagen , dachte sie. Wenn ich ihn fände und ihn fragte, wäre er möglicherweise bereit, mir mit seiner Macht behilflich zu sein.
Aber dann stünde sie in seiner Schuld, und eines lernte man als Hexe schon in der Wiege: Man machte keine Schulden bei einem Magister.
»Du hast doch nichts dagegen, wenn ich dich mit deinem Namen anspreche?«
Sie errötete leicht und ließ sich ihm gegenüber hinter dem Tisch mit dem Seidentuch auf einem Polster nieder. »Nein, Herr. Es wundert mich allerdings, dass Ihr ihn kennt.«
Sein Lächeln, so schwach es war, ließ im Zelt die Sonne aufgehen. »Du bist in der Stadt als fähige Hexe bekannt. Es heißt, du wärst wirklich begabt, und das können nur wenige von sich behaupten.«
Ganz ähnlich hatte erst vor wenigen Tagen der Magister zu ihr gesprochen. »Ich habe das Zweite Gesicht, Herr. Manchmal, wenn es gewünscht wird, auch mehr als das.«
»Dann kannst du mir vielleicht tatsächlich helfen«, sagte er. Das Lächeln erlosch, eine seltsame Zurückhaltung schlich sich in seine Stimme. »Willst du für mich schauen, Raquel? Nach Hexenart?«
»Gewiss, Herr, aber …« Sie stammelte vor Schreck. »Aber … ich meine … können denn nicht … die Magister …«
»Du meinst, warum ich mich nicht an den Königlichen Magister oder die Besucher in der schwarzen Tracht wende, die mir gerade jetzt in so großer Zahl zur Verfügung stehen? Ist es das, was du sagen wolltest?«
Sie biss sich auf die Unterlippe und nickte.
Er schaute kurz zu Boden, überlegte wahrscheinlich, wie viel er einer Frau aus dem Volk, ob Hexe oder nicht, verraten durfte. Endlich sagte er: »Der Königliche Magister dient vor allem meinem Vater und sagt ihm nur, was er hören will. Die anderen sind mir fremd, außerdem stehen sie im Dienst der Feinde meines Vaters.« Seine Augen waren blau und etwas trüb wie der Himmel kurz vor einem Gewitter. »Wem von ihnen könnte ich vertrauen, Raquel? Wer gäbe mir eine ehrliche Antwort?«
»Ich verstehe«, flüsterte sie.
»Du …« Sie war wie gebannt vom Blick dieser blauen Augen und konnte nicht wegsehen. »Wirst du mir die Wahrheit sagen, Raquel? Auch wenn du meinst, ich wollte sie eigentlich so nicht hören? Ich werde für deine Dienste bezahlen, was du verlangst, Raquel. Wenn du jetzt aufrichtig bist, sollst du in deinem Leben nie mehr Not leiden.«
Es dauerte Sekunden, bis sie sich zu einer Antwort fähig fühlte. Sie sprach erst, als ihr Herzschlag ruhiger geworden war und sie sicher sein durfte, dass ihre Stimme nicht vor Angst zitterte. »Natürlich, Herr.« Ein Flüstern nur. »Es ist eine Ehre, Euch zu dienen.«
Was mochte das für eine Wahrheit sein, die solche Männer ihm verheimlichen würden? Was würde mit ihr geschehen, wenn sie sich in Magistergeschäfte mischte? Die Hände in ihrem Schoß zitterten; sie verbarg sie rasch in einer tiefen Falte ihres Rocks und hoffte, dass er es nicht bemerkt hatte.
»Was wollt Ihr nun von mir wissen?«, flüsterte sie.
Die blauen Augen, trüb wie der Himmel am Morgen, musterten sie kurz. Jede Frau könnte in diesen Augen ertrinken, dachte sie … wenn die Frau keine Hexe wäre und der Mann kein königlicher Prinz, und wenn die beiden nicht ein dunkles Geheimnis teilten, das wahrscheinlich nur so strotzte von tödlichen Gefahren.
»Ich fühle mich seit einiger Zeit nicht wohl«, sagte er ruhig. »Die Magister behaupten, die Krankheit nicht heilen zu können, aber ich weiß, wie Heilung sich anfühlt, und keiner von ihnen hat es auch nur versucht. Wenn man sie nach den Gründen fragt, stieben sie auseinander wie die Rehe, wenn
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