Die Seelenjägerin
sind nicht mehr menschlich, jedenfalls nicht menschlich in dem Sinn, wie die Morati es verstehen. Wir schüren mit gestohlenen Energien das Feuer eines Lebens, das im Kern längst erkaltet ist. Wenn es jemals dazu kommt, dass du daran zweifelst, auf diese Energien ein Anrecht zu haben, wenn du jemals Reue empfindest, zerreißt das Band, und du stirbst.
Frage nicht nach seinem Namen. Versuche nicht, im Traum sein Gesicht zu sehen. Ich bitte dich. In diesem Punkt musst du mir vertrauen.«
»Glaubt Ihr, dass meine Träume Wahrträume sind?«, beharrt sie. »Wenn ich darin ein Gesicht sähe, wäre es tatsächlich das seine? Oder würde mir mein schlafender Geist nur ein Trugbild zeigen, das meine Neugier heraufbeschworen hat?«
Aethanus schüttelt den Kopf, seine Lippen sind schmal geworden. »Ich weiß es nicht. Man sagt, früher hätten einige Magister versucht, mit Zauberei ihrem Konjunkten auf die Spur zu kommen, aber solche Bemühungen seien immer gescheitert, nie sei es einem Magister gelungen, mit welchen Mitteln auch immer, den zu entdecken, mit wem er verbunden war … aber dabei handelte es sich um Männer .« Wieder sinkt seine Stimme zu einem Flüstern herab, das kaum den Nachtwind übertönt, aber mit Spannung geladen ist wie ein Blitz. »Du bist neu, etwas wie dich hat es noch nie gegeben. Vielleicht gelten für dich andere Regeln. Vielleicht kann eine Frau keinen Menschen töten, ohne seinen Namen erfahren zu wollen. Aber deshalb ist es noch lange nicht klug, diesem Wunsch nachzugeben.«
»Vielleicht konnten sie deshalb nicht überleben«, sagt sie leise. »Die anderen Frauen, meine ich. Ihr sagtet doch, einige wenige seien durch die Translatio gekommen, aber anschließend gestorben.«
»Das war nur eine Vermutung von mir.«
Die Entschlossenheit in ihren Zügen hat etwas Verbissenes. »Ich habe nicht vor zu sterben.«
»Dann setze deine Bemühungen nicht fort.«
»Ich bin schon so weit gekommen. Es wird mich nicht umbringen, das Gesicht eines Menschen zu sehen.«
»Kamala …«
Ihre Augen funkeln. »Zweifelt Ihr an mir, Meister? Glaubt Ihr, ich würde dieses Leben – dieses ewige Leben – aufgeben, aus Angst, einen einzelnen Menschen zu töten? Haltet Ihr mich wirklich für so weich?«
Wieder wählt er seine Worte mit Bedacht. »Ich denke, es hat Gründe, dass man Verbrechern eine Kapuze überzieht, bevor man sie hängt. Es fällt leichter, einen Unbekannten zu töten.«
»Wenn der Henker zaudert, verliert er höchstens den Sold für einen Tag. Ein Magister verliert sein Leben. Ich kenne den Unterschied.«
Dieser Trotz! Dieses Selbstbewusstsein! Eigenschaften, die ihm von Anfang an aufgefallen sind. Der grenzenlose Starrsinn dieser Frau, die in ihrer Jugend so viel Elend überlebte, dass sie sich nun nichts mehr vorstellen kann, was stärker wäre als sie. Bislang ist sie mit dieser Haltung durch alle Prüfungen gekommen, aber der Panzer hat Schwachstellen. Wer sich nicht eingesteht, dass eine Gefahr droht, kann sich auch nicht dagegen wappnen.
Noch hast du die Bewährungsprobe nicht bestanden , denkt er. Noch bist du nicht in die Welt hinausgezogen, um dich mit denen zu messen, die dir ebenbürtig sind. Bisher bist du nur das Experiment eines verschrobenen Magisters, eine Möglichkeit, die erst verwirklicht werden muss … und nur die Götter wissen, was geschieht, wenn die anderen von dir erfahren.
»Ich bin nicht mehr dein Lehrer.« Die Worte lasten schwer auf seinem Gewissen, aber er muss sie aussprechen. »Ich kann dir Ratschläge geben, aber mehr auch nicht. Ich bitte dich, mir zu vertrauen, wie du es schon einmal getan hast. Du hast auf deinem neuen Weg noch kaum den ersten Schritt getan, und weder du noch ich wissen, wohin dieser Weg dich führt. Lass nicht zu, dass deine Seele dem Wahnsinn verfällt. Bleib auf erprobten, sicheren Pfaden. Für Abenteuer ist auch später noch Zeit.«
Ihre Augen sprühen Blitze, aber sie schweigt. Er seufzt laut vernehmlich, denn er kennt diesen Blick. Als seine Schülerin hat sie Zucht und Gehorsam gelernt, aber im Innersten ist sie immer noch das zornige, vom Schicksal misshandelte Kind, das damals auf seiner Schwelle stand: fest entschlossen, die Welt am Kragen zu packen und ihr abzuringen, was sie begehrt. Und jetzt hat sie auch die Macht dazu.
Die Götter seien dir gnädig, wenn du anfängst, Forderungen zu stellen, die dir die Welt nicht erfüllen will. Und die Götter seien jedem Magister gnädig, der sich dir in den Weg
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