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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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geschminkten Damen und an den Kurtisanen finden, die in den Schatten des Hofes mit ihnen kokettierten, während ihre Diener Musik machten und duftenden Weihrauch verbrannten, aber in diesem ärmlichen Stadtteil, den man »das Viertel« nannte, fanden die Männer bei einem herzlosen, anonymen Geschlechtsakt nicht weniger Befriedigung, als wenn »erhabenere« Gefühle im Spiel waren. Warum sonst sollte jemand für solche Zwecke ein Kind kaufen?
    Jäh übermannte sie der Zorn und mit ihm die Erinnerung an ihre damalige Verzweiflung. Es ist vorbei , sagte sie sich. Kein Mann kann dir je wieder so etwas antun. Für kurze Zeit spielte sie mit dem Gedanken, mithilfe ihrer Macht all jene zu schützen, die immer noch diesen Weg gingen, aber die Regung verging schnell. Es waren zu viele, als dass die Bemühungen eines einzigen Magisters hätten etwas ausrichten können, und außerdem erschien es ihr irgendwie Unrecht, einem Moratus das Leben zu nehmen, um einen anderen zu retten.
    Magistermoral ist eine verzwickte Sache , hatte Aethanus einmal gesagt. Sie begriff erst jetzt, was er damit gemeint hatte.
    Als sich der feuchte Gifthauch der Nacht über die Straßen senkte, bekam sie allmählich Hunger. Aus alter Gewohnheit tastete sie zunächst nach ihrer Börse. Sie trug noch immer die wenigen kostbaren Münzen bei sich, die sie als Kind auf der Flucht in ein besseres Leben aus der Stadt mitgenommen hatte. Jetzt … jetzt waren sie kaum mehr als eine Zierde, ein Gewicht in dem Beutel, den sie zur Tarnung am Gürtel befestigt hatte. Ein Magister brauchte kein Geld.
    Sie ließ mehrere Schenken des »Viertels« links liegen und suchte nach einer, bei der Bier und Kochdünste den Gestank nach menschlichem Schweiß überdeckten. Das dauerte eine Weile. Die Kneipen waren klein und lagen zumeist zu ebener Erde in schmalen Gebäuden, doch an einer Ecke fand sie ein Gasthaus, das halbwegs gut durchlüftet war, sodass sich die üblen Gerüche zumindest mit anderen vermischen, wenn schon nicht verflüchtigen konnten.
    (Der Wald hatte so herrlich frisch geduftet. Besonders nach dem Regen, wenn unter den nassen Blättern die Insekten raschelnd nach unsichtbaren Wassertropfen suchten.)
    Ein Bettler stand an der Tür, aber sie drängte sich vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Sie hatte oft genug beobachtet, wie die Bettler dieser Stadt nach einem ertragreichen Tag ihre Münzen zählten, um einschätzen zu können, was sich mit künstlichen Wunden und vorgetäuschten Missbildungen verdienen ließ. Kinder, die in Lumpen gewickelt waren, um Mitleid zu erregen, taten ihr leid, denn ihre Striemen und Kratzer waren meist echt – viele Eltern brachten ihren Kleinen Schnitte mit dem Messer bei oder stachen ihnen hin und wieder sogar ein Auge aus, um ihr Elend einträglicher zu machen –, aber erwachsene Männer bestimmten selbst, was sie taten, und kaum ein Bettler musste hungern.
    (Sie musste an ihren Bruder denken, dem ihre Mutter die Pusteln der Grünen Pest immer wieder geöffnet hatte, damit sich wulstige Narben bildeten, denn Narben brachten Geld. Wieder loderte der Zorn in ihr auf, und in den dunklen Tiefen ihres Bewusstseins regten sich die Erinnerungen und krochen wie tödliche Schlangen aus den Schatten hervor …)
    »Willst du etwas essen, Junge? Zur Abendmahlzeit kommst du fast schon zu spät.«
    Sie sah überrascht auf. Ja, die Frage galt ihr. Hier drin war es so dunkel, dass der Wirt sie nicht genau sehen konnte und deshalb einfach nach ihrer Kleidung gegangen war.
    »Ja, äh … danke.« Sie räusperte sich. War sie als »Junge« jung genug für ihre Stimme, oder sollte sie versuchen, tiefer zu sprechen? Plötzlich war sie so aufgeregt, dass sie zitterte. »Ich nehme, was du hast.« Sie schüttelte ihre Börse, um ihm zu zeigen, dass sie für das Essen auch bezahlen könne. Als ob sie dafür Geld brauchte!
    Der düstere Schankraum war verstaubt. Die Gäste waren zumeist Männer, die ihr Tagewerk hinter sich hatten – oder sich darum drücken wollten. Sie hatten sandige Hände und schwarze Ränder unter den Fingernägeln. Aethanus hätte sie in diesem Zustand nie empfangen. Ein leises Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als sie sich erinnerte, wie ungewaschen sie selbst als Kind herumgelaufen war. Die meisten Bewohner von Gansang hielten allzu häufiges Waschen für schädlich. Das mochte sogar stimmen, schließlich war das »Viertel« über einem Salzsumpf erbaut und von Kanälen durchzogen, durch die sich träge das

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