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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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hätte keinen Namen … ob er ihm dann wohl einen geben dürfte? Würden dann alle dieses fremde Wesen mit seinem Namen rufen?
    Seine Mutter …
    Aus den Tiefen seines Unterbewusstseins tauchte eine Erinnerung auf. Nur für einen Moment, aber der genügte, um ihn zurückweichen zu lassen.
    Das Wesen folgte ihm. Mit bunt schillernden Flügeln überflog es die Schwelle und tauchte ein in die Schatten.
    Mutter?
    Er ging rückwärts weiter, stieß mit den Kniekehlen an die Bank und wäre fast gefallen. Blind tastete er mit der Hand nach dem Tisch und traf ihn so unglücklich, dass er alles umwarf, was darauf lag. Der Lärm riss ihn aus seiner Trance, er schaute sich um und sah gerade noch, wie der Leichnam seiner Mutter schlaff wie eine Puppe zu Boden rutschte.
    » NEIIIIN !«
    Das Wesen befand sich zwischen ihm und der Tür, doch das kümmerte ihn nicht. Er legte die Arme schützend über den Kopf und rannte los. Hoffentlich war es nicht stärker als er. Er wagte nicht, es noch einmal anzusehen. Als er es erreichte, war er auf einen Angriff gefasst – ob es wohl beißen konnte wie eine echte Schlange? –, aber es versuchte nicht, ihn aufzuhalten. Dann war er draußen auf der Straße und rannte wie noch nie zuvor in seinem Leben. Jetzt spürte er, wie sich in den Schatten etwas bewegte – flimmernde Lichter überall, wo die Kadaver lagen –, aber er blieb nicht stehen. Wenn er stehen bliebe, würden sie auch ihn erwischen. So wie seine Mutter. Seine Schwester. Und alle anderen in dem kleinen Dorf …
    Erst nach ungefähr einer Meile hielt er an, und auch dann nur deshalb, weil die Schmerzen in seinen Beinen so schlimm geworden waren, dass er keinen einzigen Schritt mehr laufen konnte. Inzwischen war es fast dunkel geworden, und als er sich zu Boden fallen ließ, glaubte er, in den Schatten glänzend schwarze Insekten umherschwirren zu sehen. Er keuchte und schluchzte, hielt sich den Arm vor die Augen und suchte nach Worten, um irgendeinen Gott um Hilfe zu bitten. Aber kein Gebet wollte ihm einfallen. Keinen einzigen Satz brachte er zustande. Es war, als hätte ihm das seltsame Wesen die Stimme geraubt, damit er nicht beten konnte.
    Langsam und unaufhaltsam senkte sich die Nacht hernieder.

Kapitel 12
    Gansang war kleiner, als Kamala es in Erinnerung hatte. Es war auch schmutziger, und der allgegenwärtige Verwesungsgeruch war ihr als Kind nie aufgefallen. Vielleicht hatte er sie damals auch nur nicht gestört. Jetzt setzte sich der Gestank überall fest: in den Kleidern, die sie trug, in den Speisen, die sie aß, er drang ihr sogar bis unter die Haut. Sie versuchte sich ständig mit Hilfe kleiner Mengen von Seelenfeuer zu reinigen, aber der Mief kehrte immer wieder zurück. Vielleicht war er auch so tief im Wesen des Ortes verwurzelt, dass selbst ein Magister mit seinen Zauberkünsten dagegen machtlos war. Angenommen, man vertriebe den Geruch einer Stadt, verschwände dann auch die Stadt selbst?
    In all den Jahren bei Aethanus hatte sie nur von Gansang geträumt. Im Triumph zurückzukehren, nicht mehr als halbwüchsige Hure, auf der jeder herumtrampeln konnte, sondern als Angehörige des höchsten Magierordens, als jemand, der das Schicksal der Stadt so selbstverständlich in eine neue Richtung lenken konnte, wie die meisten Menschen ihr Frühstück verzehrten. Aber seit sie hier war – seit sie tatsächlich ein Magister war –, wurde ihr klar, dass das nicht so einfach war. Es war wie beim Wolkenschieben: Das Schicksal einer Stadt war zu vielschichtig, um es nebenbei zu steuern. Jeder Teil war eingefügt wie in ein riesiges Mosaik. Wenn man ein Element bewegte, erzitterten tausend andere Schicksale; entfernte man eines ganz, dann setzte sich womöglich etwas noch Dunkleres an seine Stelle.
    Natürlich hätte sie auch die Möglichkeit, alles auszulöschen. Wenn sie sich vor Augen führte, wozu sie fähig war, spürte sie ein jähes Kribbeln vom Grund ihrer Seele bis in die Fingerspitzen. Sie könnte die ganze Stadt samt ihren schmutzigen Straßen, ihren Dieben und ihren Zuhältern einstürzen lassen, bis nur noch ein riesiger Berg aus stinkendem Schutt übrig wäre. Natürlich müssten dafür viele Konjunkten ihr Leben lassen, andererseits würden auch Männer in den Trümmern sterben, würden in dem Dreck und der Verkommenheit ertrinken, in der sie einst geschwelgt hatten. Die Größe eines solchen Unternehmens bemäße sich nach der Zahl der Toten.
    Es wäre ein Akt der Gerechtigkeit.
    In den engen Straßen

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