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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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vor. Sein Pferd ist gleich dahinter im Wald versteckt; er hatte sich dem Dorf zu Fuß genähert. Wissen sie, dass er ein Reittier hat? Werden sie warten, bis er bei ihm ist, bevor sie handeln?
    Er überlegt kurz, ob ihn Colivar verraten haben könnte. Vielleicht hat ihn der Schwarzrock nur aus dem Schloss gelockt, um ihn ungestraft ermorden zu können. Aber nein, das ergibt keinen Sinn. Andovan hat nichts getan, um den Magister aus dem Süden zu verärgern, und außerdem hätte ihn Colivar ebenso leicht in jener Nacht im Schloss töten können, nachdem alle Vorbereitungen für seinen vorgetäuschten Selbstmord getroffen waren. Wozu warten? Und wozu mit plumpen menschlichen Handlangern arbeiten, wenn sich mit Zauberei völlig geräuschlos das gleiche Ergebnis erzielen ließe?
    Außerdem will Colivar etwas von ihm. Das ist nicht zu übersehen. Angeblich geht es ihm um die Frau, die Andovan langsam tötet – so viel hatte er dem Prinzen verraten –, aber Andovan würde jede Wette eingehen, dass hinter der Geschichte sehr viel mehr steckt. Kein Magister vertraut jemals einem Moratus seine wahren Absichten an, das weiß jeder Prinz, der diesen Titel verdient. Und dass es noch jemand anderer auf ihn abgesehen haben könnte … alle Welt hält ihn inzwischen für tot. Also wird niemand mehr Attentäter auf ihn ansetzen. Schon gar keine Attentäter, die so unvorsichtig sind und so penetrant stinken.
    Langsam geht er die schlammige Straße entlang und achtet mit allen Sinnen auf jeden Hinweis. Er schätzt, dass die Verfolger höchstens drei Meter hinter ihm sind, nicht mehr. Wenn er sich schnell umdreht und auf sie zugeht, hat er sie erreicht, ehe sie sich versehen. Eber verhalten sich manchmal so, wenn man Jagd auf sie macht, und sie sind tödliche Gegner. Als er noch jünger war, hätte ihn ein Eber beinahe einmal auf die Hauer genommen. Damals hat er seine Lektion gelernt.
    Er umfasst mit festem Griff den beinernen Griff seines Messers und will sich umdrehen –
    – doch plötzlich bricht eine Welle der Übelkeit über ihn herein. Der Anfall hat Ähnlichkeit mit den Attacken, die er kennt, und doch auch wieder nicht. Er ist hundertmal stärker als diese lächerlichen Erschöpfungszustände und lässt ihm ohne Vorwarnung die Knie weich werden. Die ganze Welt dreht sich vor seinen Augen wie ein verrückter Traum, und er hat nicht einmal mehr die Kraft zum Atmen. Er stürzt auf Hände und Knie, das Messer fällt in den Schlamm. Nicht jetzt, nicht jetzt! Was ist das? So waren bisher nicht einmal die schlimmsten Anfälle. Nicht hier! Schritte nähern sich, schneller jetzt, und er will nach seinem Messer greifen, aber seine Hand ist wie tot, kein Gefühl, keine Kraft, sie gehorcht ihm nicht. Es ist, als hätte man seinem Körper alles Leben entzogen und ihn in einer Hülle ohne Muskeln und Sehnen eingesperrt. Ich lasse mich nicht unterkriegen! In früheren Fällen hatte er die Übelkeit mit schierer Entschlossenheit besiegt, denn er verfügt über eine beachtliche Willenskraft, aber diesmal ist die Schwäche so überwältigend, dass sie ihm nicht den kleinsten Triumph gönnt. Arme und Beine halten ihn nicht mehr aufrecht, sondern knicken ein, ihm wird schwarz vor den Augen. Ringsum treten Gestalten aus den Schatten, aber er sieht sie nicht mehr. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren hat er wirklich Angst.
    Ich muss sterben , denkt er verzagt. Nicht wie es sich gehört, auf dem Gehörn eines Hirsches oder durch die Zähne eines Raubtiers, sondern erstochen von feigen Mördern, während ich schwach und hilflos auf dem Boden liege.
    Womit hat er die Götter so sehr gekränkt, dass sie ihm etwas Derartiges antun? Er setzt zu einem Aufschrei der Empörung an, aber kein Laut löst sich aus seiner Kehle. Er spürt, wie ein schwerer Gegenstand auf seinen Kopf zusaust, aber er kann nicht ausweichen … und dann zerplatzt die Nacht in einem Sternenschleier, und der letzte Rest seines Bewusstseins entströmt wie heißes Blut. Nun ist er den Räubern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert …
    Nachdem der Strom der Erinnerungen versiegt war, lag er lange still und versuchte, alles zu verarbeiten. Er war im Allgemeinen kein Mensch, der sich der Angst überließ, aber hier ging es nicht um eine Bestie wie einen wilden Eber oder einen gereizten Löwen. Dieser … dieser Krankheit war es gleichgültig, ob er tapfer war oder nicht, Pläne oder Vorkehrungen konnten sie nicht beeindrucken, und sie schlug immer dann aus dem Dunkeln zu, wenn er

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