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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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alten Steine herangewagt, wie es ihr als Mädchen gestattet war, aber vor der bösartigen Macht im Umkreis des Heiligen Zorns war sie geflüchtet wie ein verschrecktes Reh. Später hatte sie als Tochter des Erzprotektors am alljährlichen Opfer teilgenommen und war in Gegenwart der Magister noch näher an die Speere herangekommen. Doch selbst magische Rituale boten keinen sicheren Schutz vor dem uralten Zauber der Götter, und so war sie selbst damals bis in die Tiefen ihrer Seele erschauert und hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass das Ritual ein Ende fände und sie nach Hause gehen könnte.
    Ganz allein an eines der uralten Monumente heranzugehen, es gar zu berühren … es war nicht auszudenken.
    Rhys fuhr fort. »Gegen diesen Sturm kämpfte ich mich bis an den Fuß des Steins vor. Er war riesengroß und grotesk verformt und ragte so hoch auf wie die Türme von Vaters Burg. Ich war ständig darauf gefasst, von den Göttern wie ein Insekt zerdrückt zu werden, weil ich wagte, so nahe zu kommen, aber nichts geschah. Und schließlich, sie mögen mir vergeben … streckte ich die Hand aus und berührte den kalten Fels.« Seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern, die Augen glitzerten im Mondschein wie Eis. »Ich habe den Speer berührt , Gwyn. Und dann hörte ich plötzlich all die Stimmen, die bis dahin geschwiegen hatten: die Schreie des Erdgottes, dem der erste Speer bei seinem Fall das heilige Fleisch aufgerissen hatte, das Heulen all jener Menschen und Tiere, in die der Heilige Zorn im Lauf der Jahrhunderte gefahren war, das Gebrüll der Dämonen, die gegen die Barriere des Bösen angerannt waren, ohne sie durchstoßen zu können … die Stimmen brachen über mich herein wie ein schwarzer Wirbelwind, sobald ich den Stein berührte, sie überwältigten mich, ich stürzte auf die Knie … und hätte sich meine Hand dabei nicht vom Stein gelöst, ich glaube, die grausigen Schreie hätten mich verschlungen, und ich wäre nie wieder zu dir zurückgekehrt.«
    Ein Schauer überlief ihn, sie sah es im Mondlicht. Es war eine Regung, die nicht zu ihm passte, und deshalb strich sie auch ihr wie ein eisiger Hauch durch die Seele.
    »Aber die Heiligen Hüter berühren die Speere doch zu anderen Gelegenheiten«, sagte sie leise. »Oder nicht?«
    »O ja, wenn Wind und Eis die Oberfläche zu zerreißen drohen und sie instand gesetzt werden müssen, dann füllen wir die Spalten mit Mörtel und versiegeln sie gegen die Unbilden des Winters … aber die Männer, die das tun, sind vom Geschlecht der Protektoren und wurden von den Göttern zu diesem Zweck mit besonderen Kräften ausgestattet, und sie sind nicht allein. Ich habe nur von Vaterseite Protektorenblut mitbekommen … Es reicht kaum aus, um mich den Speeren in Gesellschaft der anderen zu nähern.«
    Er fasste sie sanft mit einer Hand unter dem Kinn. »Du, geliebte Königin, besitzt, was mir armem Bastard abgeht. Du könntest dich im Notfall dem Heiligen Zorn stellen, ohne zurückzuweichen.«
    Sie fröstelte. »Beschwöre das Unheil nicht.«
    »Warum? Die Zeit könnte bald kommen. Dann wird jeder, der mit der Gabe der Protektoren ausgestattet ist, zur Verteidigung der Welt gebraucht, sonst müssen wir womöglich mit ansehen, wie das Zweite Königtum ebenso in Wahnsinn und Barbarei versinkt wie einst das Erste Reich.«
    »Glaubst du daran?« Ihre Stimme war nur ein Flüstern. »Sagst du das nur, um mich zu ängstigen, oder glaubst du aufrichtig, dass der Heilige Zorn im Begriff steht zu versagen?«
    »Wenn es den Göttern gefällt, wird er auf ewig standhalten«, antwortete er feierlich. »Man hat Reiter ausgeschickt, um die anderen Speere zu überprüfen und festzustellen, wie es um sie steht; aber es wird Monate dauern, bis wir uns einen Überblick verschafft haben. Zum Glück steht wenigstens der Sommer bevor, sodass solche Reisen möglich sind. Inzwischen bin ich einer der Heiligen Hüter und muss stets auf das Schlimmste gefasst sein. Und das gilt auch für dich als Tochter des Erzprotektors.«
    Vielleicht spürte er, dass er den Bogen überspannt hatte – oder er bereute, sie in ihrer Trauer mit solchen Gedanken belastet zu haben –, jedenfalls schaute er zum Palast zurück. »Und was tut sich hier? Ist Danton so jähzornig wie üblich? Und Rurick immer noch der aufgeblasene Esel?«
    Sie musste lächeln. »Hüte deine Zunge. Rurick wird eines Tages Großkönig sein.«
    »Ja, und dann seien die Götter uns gnädig.« Er fuhr sich mit der Hand durch die

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