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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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überzeugt. Bis auf einige wenige hatten auch die Könige des Ersten Reiches so gehandelt, so erzählten es die alten Sagen. Und sie hatten einen schrecklichen Preis dafür bezahlt.
    Hinter ihr raschelte es in den Bäumen. Sie drehte sich um, der zerrissene Saum ihres Gewandes streifte über die abgefallenen Nadeln. Ein Mann trat aus den Schatten ins Mondlicht, und als er die Stehenden Steine passierte und vollends sichtbar wurde, stieß sie einen kleinen Aufschrei der Überraschung aus und warf sich in seine Arme.
    »Rhys! Ich dachte schon, du hättest mich vergessen …«
    »Pst, Schwesterchen! Ganz ruhig. Du redest Unsinn, und das weißt du auch.«
    Sie umarmte ihn zitternd und vergoss ein paar Tränen. Aber er erkannte, dass es Tränen der Freude waren, und hielt sie fest, bis sie sich gefasst hatte. Endlich trat sie zurück und trocknete sich mit dem Ärmel eine Seite des Gesichts, während er ihr mit den Fingern die Tränen auf der anderen Seite fortwischte. Eine solche Freiheit hätte sie nur wenigen Männern erlaubt.
    »Du bist mit einem Gefolge hier?«, flüsterte sie.
    Er nickte. »Vater hat darauf bestanden. Ich habe alle anderen an Dantons Tafel zurückgelassen, wo sie sich bis zur Besinnungslosigkeit vollstopfen können.«
    Sie rieb sich die rote Nase mit dem feuchten Ärmel. »Wieso habe ich von eurem Besuch nichts gehört? Ich hätte doch davon erfahren müssen …«
    »Wenn Danton nicht bereit gewesen wäre, ihn geheim zu halten, damit ich dich überraschen könnte.« Er betrachtete sie genauer, und seine helle Stirn furchte sich, als er Spuren ihres Leidens entdeckte. »Verstehst du? Er ist gar nicht so gefühllos. Er begreift, dass du so manches brauchst, was er dir nicht geben kann.«
    Wieder umarmte sie ihn lange und weinte noch ein wenig mehr. Er drückte sie stumm an sich und ließ die Tränen fließen.
    Rhys war ein hochgewachsener, stattlicher Mann, sein Haar war so hell, dass es im Mondschein aussah wie frisch gefallener Schnee. In seiner Jugend war es lockig gewesen wie das ihre, doch jetzt trug er es nach Art der Hüter des Heiligen Zorns zu Dutzenden von dünnen Zöpfen geflochten, die ihm bis auf die Schultern hingen. Die Rang- und Tapferkeitsabzeichen, die an die vordersten Zöpfe gebunden waren, blitzten wie eingefangene Schneeflocken, wenn das Mondlicht darauf fiel. Er hatte die gleiche helle Haut wie sie, aber er war kräftiger gebaut, und seine breiten Schultern ließen vermuten, seine leibliche Mutter sei eine weit imposantere Gestalt gewesen als die zarte Dame, die Gwynofar geboren hatte. Tatsächlich wusste Gwynofar jedoch, dass Rhys’ Mutter kein dralles Weib gewesen war, sondern ein blutjunges Ding, auf das an einem kalten Winterabend der Blick des Erzprotektors gefallen war und das ihm bis zum Sonnenaufgang das Bett gewärmt hatte. In dieser einen Nacht hatten die Götter sie nicht nur fruchtbar gemacht, sie meinten es offenbar auch gut mit ihrem Bastard, denn er konnte sich die Gunst des Erzprotektors erwerben, wurde von dessen Gemahlin geduldet und genoss die Freundschaft der reinblütigen Tochter des Hauses, der goldenhaarigen Gwynofar.
    Inzwischen … inzwischen war Rhys wahrhaftig kein Kind mehr. Gwynofar hielt ihn ein Stück von sich ab und betrachtete ihn. War es möglich, dass er seit ihrem Weggang so sehr gewachsen war, oder fühlte sie selbst sich hier in der Fremde so viel kleiner? Sie waren beide viel älter als damals, als sie noch miteinander unter den wilden Kiefern gespielt und ihnen Opfer dargebracht hatten, als wären die Wälder des Nordens ihr eigenes Reich. Er trug jetzt die Tracht eines Heiligen Hüters, was auf eine wichtige Beförderung schließen ließ, aber sie kannte sich mit den verschiedenen Stufen und Aufnahmeritualen dieses Geheimordens zu wenig aus, um an den blitzenden Abzeichen in seinem Haar seinen Rang ablesen zu können. Die Wunde, die man ihm beigebracht hatte, als er sich den Heiligen Hütern anschloss, war längst zu einem bläulich weißen Strich vernarbt, der sich schräg über eine Wange zog wie die Kriegsbemalung eines Barbaren aus den Finsteren Zeiten und den Blick auf die hohen Wangenknochen und die kühlen grauen Augen lenkte.
    Du bist wie ich vom Blut der Ersten Könige , dachte sie. Du trägst die gleiche Bürde wie der Erzprotektor oder zumindest die Hälfte davon. Wenn der Heilige Zorn versagt, wenn die nächste Prüfung über die Welt kommt, wirst du an der Seite der Protektoren auf dem Schlachtfeld stehen, während sich

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