Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
könnte …« Er vollendete den Satz nicht, doch Kamala wusste, was er dachte. Alles, was Colivar von seinem Kampf ums Überleben ablenkte, konnte sein Tod sein. Er war zurzeit nur durch einen dünnen und nahezu durchgescheuerten Faden mit seinem Konjunkten verbunden. Sie wagten nichts zu tun, was diese Verbindung noch weiter hätte belasten können … und genau das würde geschehen, wenn sie in sein Bewusstsein einzudringen versuchten.
Mit immer noch schmalen Lippen hielt Ramirus eine Hand über Colivars Körper, um dem Zauberbann selbst so viel wie möglich zu entnehmen. Macht entströmte seinen Fingerspitzen und bildete Wirbel über der reglosen Gestalt. In der unbewegten heißen Luft erschienen Farben, die sich nur langsam verdichteten; der Zauberbann, der Colivar so fest umfangen hielt, gab seine Geheimnisse nicht kampflos preis.
Endlich entstanden verschwommene Bilder. Nicht so greifbar wie eine normale Beschwörung, aber scharf genug, um eine grobe Vorstellung zu vermitteln. Kamala sah Colivar durch einen unterirdischen Gang gehen und einen Raum mit reich verzierten Wänden betreten. Mit ihrem Zweiten Gesicht entdeckte sie ein Flimmern in den tiefsten Teilen der Reliefdarstellungen und beugte sich vor, um es sich genauer anzusehen. Aber sie konnte nur erkennen, dass an den Wänden etwas haftete, was dort nicht hingehörte, etwas Bösartiges.
Und mit einem Mal sprang dieses Etwas aus der Wand – aus allen Wänden gleichzeitig – und raste auf Colivar zu. Für einen flüchtigen Moment glaubte sie, seine Form zu erspüren: ein Gespinst aus feinsten lichtdurchlässigen Fäden. Ein Spinnennetz der Macht. Es legte sich um Colivar, als wäre es lebendig, und heftete sich an alle sichtbaren Partien seiner Haut. Kamala sah ihn vor Überraschung und Schmerz aufschreien. Seine Kleidung schienen die Zauberfäden einfach zu durchdringen, vielleicht wurden sie auch von ihr aufgesogen. Die Vision war zu undeutlich, um das feststellen zu können.
Colivar stürzte zu Boden. Sein Körper zitterte heftig, er rang mit der Macht, kämpfte verzweifelt darum, einen Kanal offen zu halten, damit die Lebensenergie seines Konjunkten auch weiterhin zu ihm gelangen konnte. Eine Rettungsleine zur Außenwelt. Solange dieser Kampf tobte, wäre er zu nichts anderem fähig …
Ramirus’ Vision erlosch. »Das ist also die Falle, in die er gegangen ist. Ein Gefängnis ganz für ihn allein.« Er schüttelte den Kopf. »Wieso sah er die Gefahr nicht kommen? So viel Macht … lässt sich doch nicht verbergen. Wieso spürte er nicht, dass etwas nicht stimmte, sobald er diesen Raum betrat?«
»Tefilat ist ein metaphysisches Chaos«, erinnerte ihn Kamala. Um nicht weitere Erklärungen abgeben zu müssen, wollte sie ihm nicht verraten, dass Lazaroth seine Magie möglicherweise entsprechend tarnen konnte, damit sie nicht aufzuspüren war. »Die Spuren eines einzelnen Zauberbanns könnten sich leicht darin verlieren.«
Kamala beugte sich über Colivar und betrachtete die frei liegenden Hautpartien. Mit ihrem Zweiten Gesicht entdeckte sie schwache Spuren des ursprünglichen Netzes, Fäden der Macht, die den Körper, von dem der Bann ausging, wie mit Maschen einhüllten. Ursprünglich musste irgendeine physikalische Struktur vorhanden gewesen sein, um ihm diese Form zu geben, dachte sie. Ein materieller Anker, den Siderea mit Macht erfüllt und der sich nun auf Colivars Haut gelegt hatte. Normalerweise hätte eine solche Struktur eine andere Resonanz als seine eigene, und damit ließe sie sich auch entfernen. Wenn Siderea das Netz jedoch tatsächlich aus Colivars eigenem Körper geschaffen hatte, würde das erklären, was Kamala jetzt sah. Das Gespinst flimmerte auf seiner Haut, als wäre es organisch gewachsen, ein Teil von ihm wie Haare oder Nägel, untrennbar mit seinem Körper verbunden. Wie entfernte man so etwas, ohne den ganzen Mann zu zerstören?
Sie fasste nach dem Kragen seines Hemdes und zog ihn auseinander, um zu sehen, was darunter lag. Colivar zuckte unter ihrer Berührung zusammen. Immerhin nahm er zumindest am Rande wahr, was um ihn herum vorging, auch wenn er nicht darauf reagieren konnte. Sie war nicht sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Die bleiche Haut unter seinem Hemd erschien auf den ersten Blick makellos, doch als ihr inneres Auge sich scharfstellte, sah sie, dass auch sie von den rätselhaften Machtmustern gezeichnet war. Als sie eine der Linien berührte, schien diese unter ihrer Fingerspitze zu
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