Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
Schritte auf das Mädchen zu und streckte ihr die Hand entgegen.
Die Augen des Mädchens blitzten gierig auf – jedenfalls schien es Hedda so –, aber sie regte sich immer noch nicht.
»Keine Sorge, ich habe genug. Bitte nimm doch.«
Langsam, vorsichtig, die andere Hand immer noch am Messer, näherte sie sich noch weiter. Jetzt stieg ihr der Geruch der Fremden in die Nase, eine ungewöhnliche Mischung aus altem Schweiß und süßlichem Moschus. Faszinierend und abstoßend zugleich wie alles an ihr. »Hier.« Hedda ging langsam in die Knie, ohne in ihrer Wachsamkeit nachzulassen, und legte Brot und Käse auf einen flachen Stein. »Das ist für dich.«
Sie entfernte sich rückwärts gehend.
Zunächst schien sich das Mädchen immer noch nicht rühren zu wollen. Dann hoben sich die dünnen Beine im Wechsel, und sie ging langsam auf den Stein zu, ohne den Blick von Hedda zu wenden. Ihre Bewegungen waren eckig und ohne Anmut, aber das war wohl mehr Angewohnheit als Schwäche; sie stakste über das unebene Gelände wie ein Vogel und ruckte bei jedem Schritt mit dem Kopf. Als sie den Stein erreichte, blickte sie nur so lange nach unten, bis sie die beiden Stücke aufgehoben hatte, dann richtete sie den Blick abermals auf Hedda. Sie biss gierig in das Brot hinein, riss einen Fetzen los und schluckte ihn unzerkaut hinunter wie ein Tier, das einen Brocken Fleisch verschlingt.
Hedda sah ihr mit wild klopfendem Herzen zu. Sie hatte Hunger, so viel stand fest. Und sie war nicht einfach nur ein junges Mädchen, das sich in den Wäldern verirrt hatte, auch das zeigte sich immer deutlicher. War sie am Ende eine überirdische Erscheinung? Hedda hatte Geschichten von Geistern gehört, die menschliche Gestalt annahmen, um Unheil zu stiften. Könnte ein solcher Geist nicht genau so auftreten? Unwillkürlich schloss sich ihre Hand fester um den Griff ihres Messers, während das Mädchen die geschenkten Speisen vertilgte. Sollte sie ihr auch den Rest geben? Wenn man sich freigebig zeigte, ließen die Geister manchmal von einem ab. Das hatte ihr zumindest ihre Großmutter erzählt. Hedda wünschte, sie hätte der alten Frau als Kind genauer zugehört, dann wüsste sie vielleicht, um welche Art von Geist es sich hier handelte und wie sie ihn dazu bringen könnte, wieder zu verschwinden.
Endlich war das Mädchen mit dem Essen fertig. Sie sah Hedda kurz an, dann kam sie den Abhang herunter auf sie zu.
Hedda holte scharf Luft. Von dem Mädchen ging keine offenkundige Bedrohung aus, aber ihr Mutterherz schrie ihr förmlich zu, diese seltsame Fremde von ihrem Kind fernzuhalten. Aber hatte das Mädchen den Kleinen überhaupt bemerkt? Wenn Hedda den Korb jetzt wegzog, lenkte sie dann die Aufmerksamkeit nicht erst recht auf den kostbaren Inhalt? Sie war wie erstarrt und beschloss, sich so vor dem Korb aufzubauen, dass die Fremde durch sie hindurchgehen müsste, um an ihr Kind zu kommen. Gleich einer Wölfin, die sich über ihr Junges beugte, während der Schatten eines Habichts über sie hinwegzog.
Die Fremde kam noch näher.
Bleib stehen , dachte Hedda und fasste das Messer fester.
Und dann stand das Mädchen dicht vor ihr. Die seltsamen Augen mit den schweren Lidern richteten sich auf sie, als wollten sie sie durchbohren. Welche Finsternis in diesen Augen, welche Gier! In Form und Farbe waren sie menschlich, doch ihrem Wesen nach muteten sie völlig anders an. Ein fremder Wahnsinn, namenlos und schrecklich, flackerte in ihren Tiefen.
»Bleib zurück«, flüsterte Hedda. Plötzlich hatte sie große Angst.
Die Welt begann sich um sie zu drehen. Sie wollte das Messer aus der Scheide ziehen, doch es fiel ihr aus der Hand und landete klirrend neben dem Korb. Sie hörte es wie aus weiter Ferne. Zu spät fiel ihr ein, dass sie wohl verhext worden war. Sie hätte den Korb nehmen und weglaufen sollen, solange sie noch konnte.
Jetzt war es zu spät.
Sie wollte schreien, doch ihre Stimme wollte nicht kommen. Sie wollte rennen, doch ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen. Sie wollte beten, doch die Götter wollten ihr nicht antworten.
Bleib stehen!
Die Welt verblasste. Die Landschaft blutete aus wie ein nasses Kleidungsstück. Hedda wurde von einem Schwindel erfasst, sie konnte die Übelkeit kaum zurückhalten. Und mit einem Mal …
… war der Himmel klar und blau.
Und das Mädchen war verschwunden.
Hedda blinzelte, schluckte den sauren Geschmack runter und musste sich erst wieder zurechtfinden. Ein Windstoß fuhr ihr ins Gesicht und
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