Die Seelenzauberin - 2
zwingen, dazu zu stehen.
Das Spiel war eröffnet, und sie konnte nur hoffen, dass er nicht merkte, wohin es führte. »Nun gut, dann eben etwas … Vernünftiges. Ein Rat aus Eurem berufenen Munde vielleicht. Ein Fingerzeig, wenn die Morata mit ihrem Wissen am Ende ist. Oder Schutz bei einem einfachen Unternehmen. Nichts Großes, nichts, was Eure Kräfte zu sehr beanspruchen oder Eure Morati-Verbündeten beziehungsweise Euren Kontrakt mit ihnen bedrohen würde. Eine einmalige, zeitlich begrenzte Gefälligkeit. Ist das zu viel verlangt?«
Er runzelte scheinbar nachdenklich die Stirn. Natürlich war das nur eine Farce. Es kam im Grunde nicht darauf an, auf welche Bedingungen er sich einließ; er würde sein Versprechen nur halten, wenn es ihm beliebte, ansonsten würde er es ignorieren. Aber er würde das Theater so lange fortsetzen, wie er glaubte, dass es ihr etwas bedeutete. »Einverstanden«, sagte er schließlich in feierlichem Ton.
»Ausgezeichnet.« Sie ließ ihre Augen in Dankbarkeit erstrahlen und gewährte ihm einen Atemzug lang Zeit, um sich daran zu weiden. Sieh nur, wie glücklich du die arme kleine Hexe mit deiner Großmut gemacht hast. »Wenn Ihr Euer Versprechen nun noch mit einem Eid auf Euer Magistergesetz besiegelt, sind wir handelseins.«
Er sah sie überrascht an. »Das Magistergesetz gilt nur für Magister. Ein Eid gegenüber einer Hexe wäre … ohne Bedeutung.«
»Aha.« Sie tat so, als müsste sie noch einmal überlegen. »Aber wenn es an der Zeit ist, meinen Gefallen einzufordern, könnte ich das doch durch einen Magister erledigen lassen. Was haltet Ihr davon?«
Ein Eid auf das Magistergesetz durfte nicht gebrochen werden. Das war eine der wenigen festen Regeln, und sie sollte verhindern, dass sich die Bruderschaft selbst zerfleischte. Jedes Mitglied würde ihn respektieren.
Ramirus musterte sie wieder, und seine Augen wurden schmal. Da er keine Magie einsetzen konnte, musste er sich auf seine Beobachtungsgabe verlassen. Sie jedoch hatte ihr halbes Leben damit verbracht, Männer zu belügen, jeden Freier glauben zu machen, sie besäße das, was er sich auf dieser Welt am meisten wünschte, und ihn dann zu überzeugen, dass er auch dafür bezahlen wollte.
»Was Ihr da verlangt, ist ohne Beispiel«, sagte Ramirus. Er war mit dem Ausgang der Verhandlungen sichtlich unzufrieden. »Ich müsste erst wissen, ob das, was Ihr zu bieten habt, einen solchen Preis auch wert ist.«
Sie schlug rasch die Augen nieder, damit er den Triumph darin nicht sehen konnte, löste einen kleinen Lederbeutel von ihrem Gürtel und lockerte die Schnur, die ihn geschlossen hielt. Dann drehte sie den Beutel um und schüttete eine Handvoll Schutt auf ihre flache Hand.
Ziegelscherben.
Mörtel.
»Das sind Teile vom ursprünglichen Speer«, erklärte sie. »Wer sie als Anker benutzt, kann mithilfe von Zauberei die Geschichte des Objekts, seine Botschaft und die Absichten seines Erbauers ergründen.« Sie blickte zu ihm auf. »Ich denke doch, dass Ihr damit etwas anfangen könnt?«
Sein Gesicht verriet nichts. Natürlich nicht. Er war ein Meister der Manipulation und würde seine wahren Wünsche niemals offenbaren.
Endlich: »Nun gut.« Es klang so schroff, als wäre das Versprechen, das er gleich ablegen würde, ohnehin belanglos. »Bei dem Gesetz, das alle Magister bindet: Ihr sollt haben, was Ihr verlangt.«
Kamala beherrschte sich, damit er ihren Jubel nicht sah, und übergab ihm den kostbaren Schutt. Hoffentlich fand Ramirus niemals heraus, dass sie die Scherben für diesen Handel eigens präpariert hatte. Sie mochten ihm viele Geheimnisse offenbaren und auch die Bedeutung des Karsi-Texts im Inneren des Speers erschließen – und mit ihrer Hilfe konnte er natürlich seinen Rivalen übertrumpfen und beschämen –, aber das eine, das wichtigste Geheimnis würden sie ihm nicht verraten. Auf den Fragmenten waren alle Spuren der Menschenopfer gelöscht, sie hatte die Schreie der Sterbenden zum Verstummen gebracht, und keine Zauberei konnte sie ohne ihre Einwilligung wieder hörbar machen.
Mein Geschenk an dich, Rhys. Ein sanfter, zärtlicher Gedanke. Sie wünschte, dass er den Hüter trösten konnte. Verfahre mit diesem Geheimnis so, wie deine Seele es dir rät.
Kapitel 21
Siderea flog im Traum durch die Lüfte.
Vielleicht war es auch gar kein Traum. Aber richtig wach war sie auch nicht. Es war eher ein Zustand dazwischen, in dem der Körper ruhte, die Seele aber munter war. Ein Gefühl des Andersseins ,
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