Die Seelenzauberin - 2
wieder öffnete, lagen auf seiner Handfläche nur noch Staub und kleine Teilchen.
»Das war alles, was ich retten konnte, danach war von der Kreatur nichts mehr zu verwenden«, sagte er ruhig. »Ich hätte schneller arbeiten sollen.«
»Und seine Bannwirkung?«, fragte Meister Favias, die letzte Bemerkung geflissentlich überhörend. »Erzähle uns, was es damit auf sich hat.«
Rhys nagte an seiner Unterlippe, während er nach den richtigen Worten suchte. »Die anderen Zeugen berichteten hinterher, es sei … verführerisch. Sie hätten sich von ihm angezogen gefühlt. Einige spürten den Drang, sich ihm hinzugeben … wie einem Liebhaber. Sie wünschten sich sogar, es möge ihnen die Kehle aufreißen, als gäbe es nichts, was erstrebenswerter wäre. Ihr Verstand sagte ihnen, dass diese Gefühle nicht echt waren, dass etwas Unheimliches vor sich ging, aber sie konnten nicht dagegen ankämpfen … oder, genauer gesagt, sie wollten nicht dagegen ankämpfen.«
»Und du selbst?«
»Bei mir waren alle Sinne … wie abgestumpft. Meine Gedanken waren träge. Meine Gliedmaßen schienen nicht mehr zu mir zu gehören und gehorchten meinem Willen nicht mehr. Einer der Banngesänge half mir, mich zu sammeln, sonst wäre ich womöglich überwältigt worden. Aber meine Empfindungen veränderten sich nie. Ich hasste dieses Wesen, ich fürchtete es, aber ich fühlte mich niemals zu ihm hingezogen. Ich wünschte ihm und seiner gesamten Art von ganzem Herzen den Tod.«
»Das ist immerhin eine gute Nachricht«, lobte Meister Favias. »Der Schutz der Götter wirkt stark in ihren Auserwählten.«
»Nicht unbedingt«, wandte einer der anderen Krieger ein. Rhys kannte ihn, er gehörte zur brusanischen Abordnung, ein ernster Mann, der selten so weit nach Osten kam. »Rhys ist zur Hälfte Lyr , nicht wahr? Dadurch ist er besser geschützt als die meisten von uns. Angenommen, die Götter wären uns … einfachen Bauern gegenüber nicht so großzügig?«
Rhys’ Augen wurden schmal vor Zorn. Er wollte schon auf den Sprecher losgehen, doch Meister Favias legte ihm abermals die Hand auf die Schulter, diesmal, um ihn zu beruhigen.
»Rhys, bitte.« Respektvoll, aber entschieden. »Das sollte keine Beleidigung sein.«
»Ich bin nicht anders als jeder andere in dieser Runde«, murrte Rhys.
»Vom Mut, von der Kraft, von der Hingabe an die Sache her, ja. Aber was ist mit deinem Blut? Die Frage ist berechtigt, mein Bruder. Keiner von uns kann dichter an die Speere heranreiten als du. Du hältst noch stand, wenn der Heilige Zorn auf deine Seele einschlägt, wo andere schon kopflos die Flucht ergreifen. Wenn es das besondere Erbe deines Vaters ist, was dir solche Kräfte verleiht, und nicht nur deine persönliche Tapferkeit, dann dürfen wir nicht ohne Weiteres annehmen, dass wir Übrigen den gleichen Schutz genießen. Gehen wir lieber davon aus, dass die Seelenfresser durchaus fähig sein könnten, einige Hüter in ihren Bann zu schlagen, auch wenn es dem einen bei dir nicht gelungen ist, und stellen wir unsere Planungen darauf ab.« Als Rhys nicht antwortete, drängte er: »Du siehst das doch auch so?«
Rhys stieß scharf die Luft aus, sagte aber nichts, sondern ballte kurz die Fäuste und rang um Fassung. Favias hatte recht, aber das machte es ihm nicht leichter. Endlich nickte er verkrampft.
»Du sagtest, Magister Colivar sei zugegen gewesen«, stellte Favias fest. »Beim Kampf habe ich ihn nicht gesehen.«
Rhys nickte. »Nein. Er stand abseits und sah zu. Ramirus, der mich befördert hatte, verhielt sich ebenso. Keiner der beiden rührte einen Finger, um mir zu helfen.«
»Vielleicht konnten sie es nicht«, überlegte Favias laut.
»Oder sie wollten nicht«, schaltete sich eine skandirische Hüterin ein, eine der wenigen Frauen in dieser Gruppe. »Die Götter mögen verhüten, dass sie ihre kostbare Magisterhaut für andere zu Markte tragen.«
»Richtig«, murrte der Brusaner. »Für ihre Opferbereitschaft sind sie nicht gerade bekannt.«
Meister Favias hob eine Hand. »Über die Magister können wir uns später noch beklagen«, mahnte er. »Jetzt sollten wir den Bericht unserer Archivare hören. Rommel, habt Ihr Erkenntnisse gewonnen, die Licht in diese Geschichte bringen könnten?«
Der Oberarchivar des Hauses Keirdwyn, ein älterer Mann mit langem grauem Haar, das er am Hinterkopf zu einem straffen Zopf geflochten hatte, räusperte sich. »Es gibt Aufzeichnungen darüber, mit welchen Substanzen man einst die
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