Die Seevölker
besetzten den Tempel«
Während der gesamten persischen Periode blieb der Amun-Kult in
Ägypten der dominierende Kult. Da Amun (Jupiter) das Äquivalent
für den iranischen Gott Mazda (Ahuramazdah) war, hatten die Perser
gegen die Fortsetzung des thebanischen Kultes nichts einzuwenden.
Den Amun-Priestern in den Oasen unterstand auch das sakrale Zen-
trum in Karnak (Theben). Da es in Ägypten keine einheimische Dyna-
stie gab, und da die Nachfolger von Dareios dem Großen auf dem per-
sischen Thron – nämlich Xerxes, Artaxerxes I. und Dareios II. – niemals
Ägypten aufgesucht haben, sondern dort nur Satrapen einsetzten, be-
saßen die Amun-Priester, denen auch das Oberkommando über die
Garnisonstruppen anvertraut war, eine ausgeprägte Autorität.
In einem Dokument der 21. Dynastie heißt es, im Jahre 1 irgendei-
nes Königs – es wird nur als das »Jahr eins« bezeichnet (Monat und
Tag werden genannt) – habe es eine Untersuchung gegeben, hinsicht-
lich der Plünderung von Königsgräbern der großen Könige der 18. und
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der 19. Dynastie. Bei der Verhandlung vor einer zur Klärung der Grab-
räubereien eingesetzten Kommission wurde neben einer Anzahl ande-
rer Zeugen sowie der Angeklagten auch ein gewisser Träger namens
Ahautinofer einvernommen. Im sogenannten Papyrus Mayer A, der
sich heute im Museum von Liverpool befindet, heißt es:
»Er sagte: ›Die Barbaren kamen und besetzten den Tempel, wäh-
rend ich einige Esel meines Vaters vor mir hertrieb. Da ergriff mich
Pahati, ein Fremdling, und nahm mich mit nach Ipip (zu der Zeit), als
man dem Amenhotep, der (damals) Hoherpriester des Amun war,
sechs Monate lang Gewalt antat.‹ Der Zeuge sagte aus, ihm sei erlaubt
worden, zu seinem Domizil zurückzukehren ›neun Monate nachdem
man dem Amenhotep, der damals Hoherpriester war, Gewalt angetan
hatte…‹.«1
Das ist der einzige Hinweis auf die Amtsenthebung des Hohenprie-
sters Amenhotep; aus seiner Amtszeit, in der er zunächst als Dritter,
dann als Zweiter und schließlich als Erster Prophet amtierte, sind meh-
rere Inschriften erhalten. Ein Relief zeigt ihn, wie er einem König mit
Blumen huldigt, dessen Name Neferkere-setpenre war und der von
modernen Historikern als Ramses IX. angesehen wird. Da auf diesem
Relief die Figur des Priesters ebenso groß ist wie diejenige des Königs –
eine Situation, wie sie aus der erhalten gebliebenen ägyptischen Kunst
sonst unbekannt ist –, hat man vermutet, Amenhotep sei ein Rivale des
Königshauses um die Autorität im Lande gewesen, und das habe dann
auch zu seiner Amtsenthebung geführt.2 Eine recht ausführliche Litera-
tur zum Thema von der Amtsenthebung von Amenhotep hat keine
anderen Vermutungen für die Gründe seines Sturzes hervorgebracht.
Dagegen besteht – nach den Zeugenaussagen des oben zitierten
Ahautinofer – offensichtlich doch ein Zusammenhang zwischen der
Besitznahme des Tempels (von Amun in Karnak) durch die »Barbaren«
und der Amtsenthebung oder des Sturzes des Hohenpriesters.
Die Besitznahme des Tempels wurde von Barbaren durchgeführt,
»die zumindest soweit organisiert gewesen zu sein schienen, daß sie
1 Papyrus Mayer A, 6, veröffentlicht in: T. E. Peet: The Mayer Papyri A and B (London 1920); Peet: The Great Tomb Robberies of the Twentieth Egyptian Dynasty, Band 2 (1930), S.
xxiv. E. F. Wente: »The Suppression of the High Priest Amenhotep«, in: Journal of Near Eastern Studies, XXV, 2 (April 1966), J.v. Beckerath, Tanis und Theben (1951).
2 A. H. Gardiner: Egypt of the Pharaohs, S. 299 und 301.
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hryw-pdt = ›Truppen-Hauptleute‹ besaßen«.3 Diese Barbaren waren
weder Araber noch Libyer: diese Nachbarn der Ägypter wurden in der
Regel als »Zeltbewohner« bezeichnet; auch wurden die Äthiopier, die
südlichen Nachbarn, nie als ›Barbaren‹ bezeichnet.
Das akzeptierte chronologische Schema, nach dem die 21. Dynastie
in Ägypten regierte, während Saul, David und Salomon als Könige
über Israel herrschten, muß herausfinden, wer diese »Barbaren« wa-
ren; und da sie nicht als Libyer, Äthiopier oder Araber bezeichnet
wurden, sollte da der Schluß gezogen werden, es handle sich um Israe-
liten? Eine derartige Schlußfolgerung ist jedoch – und das mit Recht –
nicht aufgestellt worden. Hätten David oder Salomon jemals die Herr-
schaft über Ägypten ausgeübt, dann wäre dieses Ereignis in den
Schriften bestimmt nicht unerwähnt geblieben.
Aber in der
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